Y2 Es reicht! Restriktive Migrationspolitik nicht mit uns!

Status:
Mit Änderungen angenommen

Wir fordern die BayernSPD auf, sich zu ihrer Beschlusslage zu bekennen und sich kritisch zum Vorstoß von Olaf Scholz zu äußern. Auf dem letzten Landesparteitag im Mai 2023 hat die BayernSPD beschlossen: “Der Landesparteitag bekräftigt, dass die BayernSPD mit ihren sozialdemokratischen Grundwerten für internationale Solidarität und gegen

Abschottungspolitik steht. Sie tritt ein für ein Europa der Menschen und nicht der Mauern und Stacheldrähte. Abschiebungsdebatten wecken falsche Erwartungen, lösen aber keine Probleme. Solche rechten Narrative werden von der BayernSPD weiterhin abgelehnt. Die

BayernSPD steht auch solidarisch an der Seite der Seenotrettung und ihrer Organisationen.”

Wir fordern die SPD-Bundestagsfraktion auf, die Rhetorik des Kanzlers nicht hinzunehmen und die restriktive Politik im Parlament nicht mitzutragen. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die für sich den Anspruch erheben, als Juso-Abgeordnete im Parlament zu sitzen.

Wir fordern alle Mitglieder der SPD in Bayern und Deutschland auf, sich unserem Kampf gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft und eine Verschärfung der Rhetorik anzuschließen.

Für uns ist klar:

  • Die SPD steht nicht hinter der von Olaf Scholz angeschlagenen Rhetorik. Als internationalistische und sozialistische Bewegung stehen wir auch in unserem öffentlichen Auftreten an der Seite Geflüchteter und stehen klar zu Zuwanderung und Migration.
  • Abschiebungen und Bezahlkarten – die als Forderungen vor allem aus den Bundesländern kommen – sind nichts als populistische Augenwischerei. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis für “Pull-Faktoren”. All die vorgeschlagenen Maßnahmen werden keinerlei Auswirkungen haben.
  • Das Aufgreifen rechter Erzählungen hilft einzig und allein den Rechten.
  • Wer die Lage der Menschen in Deutschland verbessern möchte, darf nicht Minderheiten gegeneinander ausspielen, sondern muss die Verteilungsfrage stellen.
  • Scholz begibt sich auf einen gefährlichen Pfad des Populismus, weil er weniger Migration verspricht, aber nicht erklärt, wie das erreicht werden kann. Gleichzeitig schlägt er einen Ton an, der Fremdenfeindlichkeit Tür und Tor öffnet. Am Ende profitiet davon nur die AfD.

Rote Linien sind überschritten

Die Ankündigungen von Olaf Scholz in den Medien, dass die Bundesregierung eine restriktive Migrationspolitik einschlagen und durchsetzen will, überschreiten rote Linien und gehen auch über das hinaus, was im Koalitionsvertrag aus unserer Sicht bereits als äußerst kritische Position festgehalten wurde. Inhalte, die wir über Jahre als Sozialdemokratie verteidigt und als Jusos hochgehalten haben, werden mit Füßen getreten. Rote Linien scheint es insbesondere in der Rhetorik nicht mehr zu geben. Menschlichkeit scheint kein Kriterium mehr zu sein. Gleichzeitig verwendet er eine populistischen Sprache, zum Beispiel indem er von irregulärer Migration spricht. Es bleibt aber unklar, was damit gemeint sein soll, da das Grundrecht auf Asyl sowohl im Grundgesetz als auch in den Genfer

Flüchtlingskonventionem verbrieft ist. Durch diese Sprache bereitet er Rechtspopulismus weiter das Feld.

Die Aussage, die Partei stehe hinter diesem politischen Kurswechsel, ist falsch. Überall in der SPD gibt es Menschen, denen insbesondere die Migrationspolitik wichtig ist. Viele Austrittswellen in der SPD waren bisher das Ergebnis von ausgrenzender Politik gegenüber Menschen, die zu uns kommen und bei uns leben wollen.

Seit Jahren ist es weithin bekannt, dass das Aufgreifen von Forderungen und Erzählungen von rechten und ausländerfeindlichen Gruppierungen nicht dazu beiträgt, diese Gruppierungen zu schwächen, sondern dazu, dass diese Gruppierungen gestärkt werden.

Der Zeitpunkt der Ankündigung dieses radikalen Kurswechsels in der Migrationspolitik der SPD erweckt den Anschein, dass die Stimmungsmache rechtsradikaler Parteien wirkt. Es scheint, als würden die Forderungen der gesellschaftlichen Rechten nun von einer sozialdemokratischen Regierung umgesetzt werden.

Nationale Abschottung löst kein einziges Problem

Olaf Scholz suggeriert in seinem Interview, dass wir die “Probleme” in der Migrationspolitik durch nationale Maßnahmen lösen können. Diese Idee ist genauso gefährlich wie absurd. Erst kürzlich wurde angekündigt, dass im Rahmen von GEAS der europäische Kurs verschärft wird, darin enthalten sind z.B. Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, die Verschärfung des Aufenthaltsrechts und eine weitere Abschottungspolitik. Auch dagegen hat sich die BayernSPD auf ihrem Landesparteitag klar positioniert. Nun legt die

Bundesregierung mit nationalen Maßnahmen nach, während die Probleme auf europäischer

Ebene weiterhin nicht gelöst sind – das GEAS-Verfahren befindet sich derzeit weiterhin im Trilog. Vielfach haben Studien belegt, dass es Pull-Effekte nicht gibt. Die in seinem Interview diskutierten Maßnahmen werden niemanden davon abhalten, die oftmals sehr gefährliche Flucht nach Deutschland auf sich zu nehmen. Wer die Anzahl Geflüchteter reduzieren will, muss Fluchtursachen bekämpfen, nicht Geflüchtete. Fluchtursachen werden sich nicht zuletzt aufgrund der Klimakrise noch deutlich verschärfen.

Geflüchtete kommen oftmals traumatisiert in Deutschland oder anderen Ländern an. Ihr größter Wunsch: Normalität und ein selbstbestimmtes Leben. Stattdessen verbringen viele Geflüchtete lange Zeiten in Sammelunterkünften, dürfen nicht arbeiten und gesellschaftliche Integration wird ihnen verwehrt.

Forderungen nach Sachleistungen, Bezahlkarten und das “Angebot”, gemeinnützige Arbeit ohne richtigen Lohn bei gleichzeitigem Arbeitsverbot für reguläre Tätigkeiten zu leisten, widerspricht der Selbstbestimmung und aus unserer Sicht einem menschenwürdigen Leben in einem Land, in dem man nach traumatisierender Flucht angekommen ist.

Schon jetzt bieten wir den Geflüchteten somit nicht das, was sie benötigen. Mit den angekündigten Maßnahmen entfernen wir uns nur noch weiter von dem, was als humanitäre Hilfe notwendig wäre.

Abschiebungen stoppen!

Auch die viel proklamierten Abschiebungen sind faktisch nicht durchsetzbar: Selbst wenn

Rückführungsabkommen mit anderen Staaten geschlossen werden, gelingen Abschiebungen häufig nicht. Zwei von drei Abschiebungen scheitern. Die Gründe sind vielfältig: Neben der Weigerung von Fluggesellschaften, gesundheitlichen Problemen und der Gegenwehr von Betroffenen, liegt es häufig daran, dass sich die aufnehmenden Länder der Abschiebungen verweigern. „Konsequentes Abschieben“ oder eine „harte Politik“ lösen also keinerlei Probleme. Zusätzlich können nach deutschem Recht „nur“ ca. 50.000 Menschen (weniger als zwei Prozent der in Deutschland lebenden Geflüchteten) abgeschoben werden. Selbst wenn es gelänge, alle Menschen, die ausreisepflichtig sind, morgen abzuschieben, würde dies keine signifikante Reduzierung der Zahl Geflüchteter in Deutschland mit sich bringen. Die Rhetorik von Scholz ist also populistisch – sie suggeriert, auf komplexe Probleme eine einfache Lösung zu bieten. Fälle, in welchen die drohende Abschiebung bei Geflüchteten dazu führt, dass sie sich wegen Perspektivlosigkeit das eigene Leben nehmen, sind mehrfach dokumentiert. Rechtlich sichere Abschiebungen werden auch durch Rückführungsabkommen kaum in größerer Zahl möglich sein. Eine signifikante Reduzierung von Menschen, die sich bei uns aufhalten, wird damit nicht erreichbar sein.

Für die Betroffenen ist die Abschiebung aber hochproblematisch: Immer wieder gibt es Berichte über Selbstmorde von Menschen, denen eine konkrete Abschiebung bevorsteht.

Menschen unabhängig von ökonomischer Verwertbarkeit respektieren

„Soziale Politik für Dich“ und Respekt bedeutet für uns, Menschen nicht nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit zu unterscheiden. Olaf Scholz spricht in seinem Interview davon, dass wir bestimmte Fachkräfte brauchen, während wir andere Migration ablehnen. Menschen sind mehr als ihre Qualifikation, gerade auch weil die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse oft nicht angemessen funktioniert.

Auch wenn wir die ökonomische Verwertung Geflüchteter grundsätzlich ablehnen, möchten wir dennoch deutlich machen, dass die aktuelle Politik der Gewinnung von Fachkräften unterschiedlichster Qualifikationen entgegensteht:

  • Rechtspopulismus und fremdenfeindliche Politik (und Stimmung in Deutschland) wird auch von Fachkräften im Ausland wahrgenommen. Für viele Menschen, die sich in Deutschland einbringen wollen, wirkt dies abschreckend. Das konterkariert das Ziel, Arbeitskräfte zu gewinnen.
  • Vielen Menschen, die hier leben und langfristig leben wollen, ist es verboten, zu arbeiten. Ihnen wird damit die Möglichkeit der Teilhabe und Integration verwehrt. Die falsche Hoffnung scheint es zu sein, dass diese Menschen dadurch schneller ausreisen. Gerade bei Menschen, die aus einem Land kommen, das sich immer noch im Bürgerkrieg befindet, ist dies absolut unrealistisch.
  • Wer Migration aus wirtschaftlicher Perspektive diskutieren will, muss anerkennen: Wir brauchen nicht nur Zuwanderung von Fachkräften. Alle Menschen, die bei uns leben und arbeiten wollen, sollten wir als Chance sehen und ihnen Ausbildungs- und Qualifzierungsmöglichkeiten anbieten. Es gibt nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern einen generellen Arbeitskräftemangel, es werden händeringend arbeitende Hände und Köpfe in allen Qualifikationsstufen gesucht.

Schluss mit Rechtsruck, her mit sozialer Politik in großem Stil

Der Verteilungskampf findet nicht zwischen einem nigerianischen Geflüchteten und einer deutschen Friseur-Auszubildenden statt, sondern zwischen den reichen 10% und den übrigen 90%: Wohnraum ist nicht knapp, weil Geflüchtete anderen den Wohnraum wegnehmen, sondern weil sich Spekulation gegenüber Vermietung nach wie vor durchsetzt und deshalb nach wie vor enormer Leerstand in den Kommunen herrscht. Sozialer Wohnungsbau scheitert an langen Planungsprozessen und an mangelnden Investitionen durch öffentliche Hand und Investoren.

Geflüchtete und andere Gruppen in vermeintlicher Konkurrenz zueinander zu sehen und gegeneinander auszuspielen, verkennt die Realität der tatsächlichen Verteilungskonflikte in unserer Gesellschaft. Wer den Rechtsruck in Deutschland und Europa aufhalten will, muss dafür sorgen, dass die existenziellen Sorgen und die Abstiegsängste der ökonomischen Mitte adressiert werden und die Menschen spüren, dass ein sozialdemokratischer Kanzler Soziale Politik für sie macht.

Derart weitreichende Entscheidungen lassen wir uns nicht aus dem Kanzerlamt diktieren

Die derzeitige SPD-geführte Regierung ist nicht der Verdienst von Olaf Scholz, sondern das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit vieler Mitglieder unserer Partei. Politische Linien und politische Kommunikation sind nicht durch das Kanzleramt vorzugeben, sondern in der Partei zu entwickeln. Wir sehen sowohl in GEAS als auch in der Einführung von nationalen

Maßnahmen wie Bezahlkarten, verstärkten Grenzkontrollen, etc. einen fundamentalen

Kurswechsel und einen deutlichen Widerspruch zu unseren Grundwerten. Derartige Entscheidungen sind nicht in der Regierung oder im Kanzleramt zu diskutieren. Die Partei wird sich dem entgegenstellen und die Partei wird das nicht mittragen. Als Jusos werden wir uns dem mit allem, was wir haben, entgegenstellen.

Barrierefreies PDF:
Änderungsanträge
Status Kürzel Aktion Seite Zeile AntragstellerInnen Text PDF
Annahme Ä1 zum Y2 Z. 107 OBB ergänze: Wer will, dass Geflüchtete und Asylbewerber*innen arbeiten, muss die Beschäftigungsverbote abschaffen.    
Annahme Ä2 zum Y2 Z. 90 OBB ergänze nach "Trilog": Lager und Schnellverfahren an den EU Außengrenzen lehnen wir ab. Asyl ist ein individuelles Recht. Basierend auf der Herkunft, die Erfolgswahrscheinlichkeit zu beurteilen, widerspricht die Idee, jede individuelle Situation einzeln zu prüfen. Lager und Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen lehnen wir ab. Schon in Deutschland werden - je nach Jahr - 30 bis über 50 Prozent der Ablehnungen von Gerichten wieder einkassiert, weil sie fehlerhaft oder falsch sind. Und die Asylverfahren in Deutschland dauern meist sehr, sehr lang. Die Vorstellung, dass es in Lagern an den Außengrenzen, weit weg von zivilgesellschaftlicher Kontrolle, plötzlich in Schnellverfahren funktionieren soll, ist im besten Fall naiv.  Das Recht auf Asyl ist ein individuelles Recht. Basierend auf der Herkunft, die Erfolgswahrscheinlichkeit zu beurteilen, widerspricht die Idee, jede individuelle Situation einzeln zu prüfen.
Annahme Ä3 zum Y2 Z. 119 OBB ergänze neuen Absatz: Das Sterben muss endlich ein Ende haben. Die von der Bundesregierung bereitgestellten Mittel müssen endlich an Initiativen der privaten Seenotrettung fließen. Außerdem sollte die Europäische Union, zusammen mit den Mitgliedsstaaten und Anrainerstaaten, die institutionelle Seenotrettung wieder einführen.  Unsere Asylpolitik muss auch einen besonderen Fokus auf den Schutz der Kinderrechte  haben. Kinder erleben in den Krisen Traumatisierung und verlieren ihre  Lebensgrundlage. Mit der UN-Kinderrechtskonvention haben sich fast alle Staaten weltweit auf den Schutz von Kindern geeinigt. Aus diesem Grund ist es mehr als wichtig dass die Mitgliedsstaaten der EU sich für den Schutz der Kinder, besonders auf ihren Grenzen einsetzen, die internationale Vereinbarungen einhalten und die finanziellen Mindeststandards für die Humanitäre Missionen für Kinderschutz sichern (der Bedarf ist weltweit nur zu 43% gedeckt).
Annahme Ä4 zum Y2 Z. 139 OBB ergänze nach "bevorsteht": Auch deswegen ist es abzulehnen, dass die Definition von “sicheren Drittstaaten” künftig in die Entscheidungsmacht der Nationalstaaten übergehen soll. Das wird zur Folge haben, dass gerade die Staaten an den EU-Außengrenzen Probleme in den Drittstaaten ignorieren und diese als “sicher” deklarieren werden, um Asylsuchende in die Grenzverfahren zu bringen und um sie im Zweifel auch in Transitländer abschieben zu können. Daher fordern wir: Strenge Prüfungen der Anerkennung von Staaten als sichere Drittstaaten und Entscheidungen darüer nur gemeinsam in der Europäischen Union.  Auch der hochgepriesene Verteilungsschlüssel innerhalb der EU läuft ins Leere, wenn sich einzelne Mitgliedsstaaten freikaufen können. Durch die Ausgleichszahlung wird die Nicht-Unterbringung von Geflüchteten zum marktwirtschaftlichen Gut unnerhalb der Europäischen Union. 
Beschluss: Mit Änderungen angenommen
Text des Beschlusses:

Wir fordern die BayernSPD auf, sich zu ihrer Beschlusslage zu bekennen und sich kritisch zum Vorstoß von Olaf Scholz zu äußern. Auf dem letzten Landesparteitag im Mai 2023 hat die BayernSPD beschlossen: “Der Landesparteitag bekräftigt, dass die BayernSPD mit ihren sozialdemokratischen Grundwerten für internationale Solidarität und gegen

Abschottungspolitik steht. Sie tritt ein für ein Europa der Menschen und nicht der Mauern und Stacheldrähte. Abschiebungsdebatten wecken falsche Erwartungen, lösen aber keine Probleme. Solche rechten Narrative werden von der BayernSPD weiterhin abgelehnt. Die

BayernSPD steht auch solidarisch an der Seite der Seenotrettung und ihrer Organisationen.”

Wir fordern die SPD-Bundestagsfraktion auf, die Rhetorik des Kanzlers nicht hinzunehmen und die restriktive Politik im Parlament nicht mitzutragen. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die für sich den Anspruch erheben, als Juso-Abgeordnete im Parlament zu sitzen.

Wir fordern alle Mitglieder der SPD in Bayern und Deutschland auf, sich unserem Kampf gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft und eine Verschärfung der Rhetorik anzuschließen.

Für uns ist klar:

  • Die SPD steht nicht hinter der von Olaf Scholz angeschlagenen Rhetorik. Als internationalistische und sozialistische Bewegung stehen wir auch in unserem öffentlichen Auftreten an der Seite Geflüchteter und stehen klar zu Zuwanderung und Migration.
  • Abschiebungen und Bezahlkarten – die als Forderungen vor allem aus den Bundesländern kommen – sind nichts als populistische Augenwischerei. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis für “Pull-Faktoren”. All die vorgeschlagenen Maßnahmen werden keinerlei Auswirkungen haben.
  • Das Aufgreifen rechter Erzählungen hilft einzig und allein den Rechten.
  • Wer die Lage der Menschen in Deutschland verbessern möchte, darf nicht Minderheiten gegeneinander ausspielen, sondern muss die Verteilungsfrage stellen.
  • Scholz begibt sich auf einen gefährlichen Pfad des Populismus, weil er weniger Migration verspricht, aber nicht erklärt, wie das erreicht werden kann. Gleichzeitig schlägt er einen Ton an, der Fremdenfeindlichkeit Tür und Tor öffnet. Am Ende profitiet davon nur die AfD.

Rote Linien sind überschritten

Die Ankündigungen von Olaf Scholz in den Medien, dass die Bundesregierung eine restriktive Migrationspolitik einschlagen und durchsetzen will, überschreiten rote Linien und gehen auch über das hinaus, was im Koalitionsvertrag aus unserer Sicht bereits als äußerst kritische Position festgehalten wurde. Inhalte, die wir über Jahre als Sozialdemokratie verteidigt und als Jusos hochgehalten haben, werden mit Füßen getreten. Rote Linien scheint es insbesondere in der Rhetorik nicht mehr zu geben. Menschlichkeit scheint kein Kriterium mehr zu sein. Gleichzeitig verwendet er eine populistischen Sprache, zum Beispiel indem er von irregulärer Migration spricht. Es bleibt aber unklar, was damit gemeint sein soll, da das Grundrecht auf Asyl sowohl im Grundgesetz als auch in den Genfer Flüchtlingskonventionen verbrieft ist. Durch diese Sprache bereitet er Rechtspopulismus weiter das Feld.

Die Aussage, die Partei stehe hinter diesem politischen Kurswechsel, ist falsch. Überall in der SPD gibt es Menschen, denen insbesondere die Migrationspolitik wichtig ist. Viele Austrittswellen in der SPD waren bisher das Ergebnis von ausgrenzender Politik gegenüber Menschen, die zu uns kommen und bei uns leben wollen.

Seit Jahren ist es weithin bekannt, dass das Aufgreifen von Forderungen und Erzählungen von rechten und ausländerfeindlichen Gruppierungen nicht dazu beiträgt, diese Gruppierungen zu schwächen, sondern dazu, dass diese Gruppierungen gestärkt werden.

Der Zeitpunkt der Ankündigung dieses radikalen Kurswechsels in der Migrationspolitik der SPD erweckt den Anschein, dass die Stimmungsmache rechtsradikaler Parteien wirkt. Es scheint, als würden die Forderungen der gesellschaftlichen Rechten nun von einer sozialdemokratischen Regierung umgesetzt werden.

Nationale Abschottung löst kein einziges Problem

Olaf Scholz suggeriert in seinem Interview, dass wir die “Probleme” in der Migrationspolitik durch nationale Maßnahmen lösen können. Diese Idee ist genauso gefährlich wie absurd. Erst kürzlich wurde angekündigt, dass im Rahmen von GEAS der europäische Kurs verschärft wird, darin enthalten sind z.B. Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, die Verschärfung des Aufenthaltsrechts und eine weitere Abschottungspolitik. Auch dagegen hat sich die BayernSPD auf ihrem Landesparteitag klar positioniert. Nun legt die

Bundesregierung mit nationalen Maßnahmen nach, während die Probleme auf europäischer

Ebene weiterhin nicht gelöst sind – das GEAS-Verfahren befindet sich derzeit weiterhin im Trilog. Lager und Schnellverfahren an den EU Außengrenzen lehnen wir ab. Asyl ist ein individuelles Recht. Basierend auf der Herkunft, die Erfolgswahrscheinlichkeit zu beurteilen, widerspricht die Idee, jede individuelle Situation einzeln zu prüfen.

Lager und Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen lehnen wir ab. Schon in Deutschland werden – je nach Jahr – 30 bis über 50 Prozent der Ablehnungen von Gerichten wieder einkassiert, weil sie fehlerhaft oder falsch sind. Und die Asylverfahren in Deutschland dauern meist sehr, sehr lang. Die Vorstellung, dass es in Lagern an den Außengrenzen, weit weg von zivilgesellschaftlicher Kontrolle, plötzlich in Schnellverfahren funktionieren soll, ist im besten Fall naiv.

Das Recht auf Asyl ist ein individuelles Recht. Basierend auf der Herkunft, die Erfolgswahrscheinlichkeit zu beurteilen, widerspricht die Idee, jede individuelle Situation einzeln zu prüfen.

Vielfach haben Studien belegt, dass es Pull-Effekte nicht gibt. Die in seinem Interview diskutierten Maßnahmen werden niemanden davon abhalten, die oftmals sehr gefährliche Flucht nach Deutschland auf sich zu nehmen. Wer die Anzahl Geflüchteter reduzieren will, muss Fluchtursachen bekämpfen, nicht Geflüchtete. Fluchtursachen werden sich nicht zuletzt aufgrund der Klimakrise noch deutlich verschärfen.

Geflüchtete kommen oftmals traumatisiert in Deutschland oder anderen Ländern an. Ihr größter Wunsch: Normalität und ein selbstbestimmtes Leben. Stattdessen verbringen viele Geflüchtete lange Zeiten in Sammelunterkünften, dürfen nicht arbeiten und gesellschaftliche Integration wird ihnen verwehrt.

Forderungen nach Sachleistungen, Bezahlkarten und das “Angebot”, gemeinnützige Arbeit ohne richtigen Lohn bei gleichzeitigem Arbeitsverbot für reguläre Tätigkeiten zu leisten, widerspricht der Selbstbestimmung und aus unserer Sicht einem menschenwürdigen Leben in einem Land, in dem man nach traumatisierender Flucht angekommen ist. Wer will, dass Geflüchtete und Asylbewerber*innen arbeiten, muss die Beschäftigungsverbote abschaffen.

Schon jetzt bieten wir den Geflüchteten somit nicht das, was sie benötigen. Mit den angekündigten Maßnahmen entfernen wir uns nur noch weiter von dem, was als humanitäre Hilfe notwendig wäre.

Abschiebungen stoppen!

Auch die viel proklamierten Abschiebungen sind faktisch nicht durchsetzbar: Selbst wenn Rückführungsabkommen mit anderen Staaten geschlossen werden, gelingen Abschiebungen häufig nicht. Zwei von drei Abschiebungen scheitern.

Das Sterben muss endlich ein Ende haben. Die von der Bundesregierung bereitgestellten Mittel müssen endlich an Initiativen der privaten Seenotrettung fließen. Außerdem sollte die Europäische Union, zusammen mit den Mitgliedsstaaten und Anrainerstaaten, die institutionelle Seenotrettung wieder einführen.

Unsere Asylpolitik muss auch einen besonderen Fokus auf den Schutz der Kinderrechte  haben. Kinder erleben in den Krisen Traumatisierung und verlieren ihre  Lebensgrundlage. Mit der UN-Kinderrechtskonvention haben sich fast alle Staaten weltweit auf den Schutz von Kindern geeinigt. Aus diesem Grund ist es mehr als wichtig dass die Mitgliedsstaaten der EU sich für den Schutz der Kinder, besonders auf ihren Grenzen einsetzen, die internationale Vereinbarungen einhalten und die finanziellen Mindeststandards für die Humanitäre Missionen für Kinderschutz sichern (der Bedarf ist weltweit nur zu 43% gedeckt).

Die Gründe sind vielfältig: Neben der Weigerung von Fluggesellschaften, gesundheitlichen Problemen und der Gegenwehr von Betroffenen, liegt es häufig daran, dass sich die aufnehmenden Länder der Abschiebungen verweigern. „Konsequentes Abschieben“ oder eine „harte Politik“ lösen also keinerlei Probleme. Zusätzlich können nach deutschem Recht „nur“ ca. 50.000 Menschen (weniger als zwei Prozent der in Deutschland lebenden Geflüchteten) abgeschoben werden. Selbst wenn es gelänge, alle Menschen, die ausreisepflichtig sind, morgen abzuschieben, würde dies keine signifikante Reduzierung der Zahl Geflüchteter in Deutschland mit sich bringen. Die Rhetorik von Scholz ist also populistisch – sie suggeriert, auf komplexe Probleme eine einfache Lösung zu bieten. Fälle, in welchen die drohende Abschiebung bei Geflüchteten dazu führt, dass sie sich wegen Perspektivlosigkeit das eigene Leben nehmen, sind mehrfach dokumentiert. Rechtlich sichere Abschiebungen werden auch durch Rückführungsabkommen kaum in größerer Zahl möglich sein. Eine signifikante Reduzierung von Menschen, die sich bei uns aufhalten, wird damit nicht erreichbar sein.

Für die Betroffenen ist die Abschiebung aber hochproblematisch: Immer wieder gibt es Berichte über Selbstmorde von Menschen, denen eine konkrete Abschiebung bevorsteht. Auch deswegen ist es abzulehnen, dass die Definition von “sicheren Drittstaaten” künftig in die Entscheidungsmacht der Nationalstaaten übergehen soll. Das wird zur Folge haben, dass gerade die Staaten an den EU-Außengrenzen Probleme in den Drittstaaten ignorieren und diese als “sicher” deklarieren werden, um Asylsuchende in die Grenzverfahren zu bringen und um sie im Zweifel auch in Transitländer abschieben zu können. Daher fordern wir: Strenge Prüfungen der Anerkennung von Staaten als sichere Drittstaaten und Entscheidungen darüber nur gemeinsam in der Europäischen Union.

Auch der hochgepriesene Verteilungsschlüssel innerhalb der EU läuft ins Leere, wenn sich einzelne Mitgliedsstaaten freikaufen können. Durch die Ausgleichszahlung wird die Nicht-Unterbringung von Geflüchteten zum marktwirtschaftlichen Gut innerhalb der Europäischen Union.

Menschen unabhängig von ökonomischer Verwertbarkeit respektieren

„Soziale Politik für Dich“ und Respekt bedeutet für uns, Menschen nicht nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit zu unterscheiden. Olaf Scholz spricht in seinem Interview davon, dass wir bestimmte Fachkräfte brauchen, während wir andere Migration ablehnen. Menschen sind mehr als ihre Qualifikation, gerade auch weil die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse oft nicht angemessen funktioniert.

Auch wenn wir die ökonomische Verwertung Geflüchteter grundsätzlich ablehnen, möchten wir dennoch deutlich machen, dass die aktuelle Politik der Gewinnung von Fachkräften unterschiedlichster Qualifikationen entgegensteht:

  • Rechtspopulismus und fremdenfeindliche Politik (und Stimmung in Deutschland) wird auch von Fachkräften im Ausland wahrgenommen. Für viele Menschen, die sich in Deutschland einbringen wollen, wirkt dies abschreckend. Das konterkariert das Ziel, Arbeitskräfte zu gewinnen.
  • Vielen Menschen, die hier leben und langfristig leben wollen, ist es verboten, zu arbeiten. Ihnen wird damit die Möglichkeit der Teilhabe und Integration verwehrt. Die falsche Hoffnung scheint es zu sein, dass diese Menschen dadurch schneller ausreisen. Gerade bei Menschen, die aus einem Land kommen, das sich immer noch im Bürgerkrieg befindet, ist dies absolut unrealistisch.
  • Wer Migration aus wirtschaftlicher Perspektive diskutieren will, muss anerkennen: Wir brauchen nicht nur Zuwanderung von Fachkräften. Alle Menschen, die bei uns leben und arbeiten wollen, sollten wir als Chance sehen und ihnen Ausbildungs- und Qualifzierungsmöglichkeiten anbieten. Es gibt nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern einen generellen Arbeitskräftemangel, es werden händeringend arbeitende Hände und Köpfe in allen Qualifikationsstufen gesucht.

Schluss mit Rechtsruck, her mit sozialer Politik in großem Stil

Der Verteilungskampf findet nicht zwischen einem nigerianischen Geflüchteten und einer deutschen Friseur-Auszubildenden statt, sondern zwischen den reichen 10% und den übrigen 90%: Wohnraum ist nicht knapp, weil Geflüchtete anderen den Wohnraum wegnehmen, sondern weil sich Spekulation gegenüber Vermietung nach wie vor durchsetzt und deshalb nach wie vor enormer Leerstand in den Kommunen herrscht. Sozialer Wohnungsbau scheitert an langen Planungsprozessen und an mangelnden Investitionen durch öffentliche Hand und Investoren.

Geflüchtete und andere Gruppen in vermeintlicher Konkurrenz zueinander zu sehen und gegeneinander auszuspielen, verkennt die Realität der tatsächlichen Verteilungskonflikte in unserer Gesellschaft. Wer den Rechtsruck in Deutschland und Europa aufhalten will, muss dafür sorgen, dass die existenziellen Sorgen und die Abstiegsängste der ökonomischen Mitte adressiert werden und die Menschen spüren, dass ein sozialdemokratischer Kanzler Soziale Politik für sie macht.

Derart weitreichende Entscheidungen lassen wir uns nicht aus dem Kanzleramt diktieren

Die derzeitige SPD-geführte Regierung ist nicht der Verdienst von Olaf Scholz, sondern das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit vieler Mitglieder unserer Partei. Politische Linien und politische Kommunikation sind nicht durch das Kanzleramt vorzugeben, sondern in der Partei zu entwickeln. Wir sehen sowohl in GEAS als auch in der Einführung von nationalen

Maßnahmen wie Bezahlkarten, verstärkten Grenzkontrollen, etc. einen fundamentalen

Kurswechsel und einen deutlichen Widerspruch zu unseren Grundwerten. Derartige Entscheidungen sind nicht in der Regierung oder im Kanzleramt zu diskutieren. Die Partei wird sich dem entgegenstellen und die Partei wird das nicht mittragen. Als Jusos werden wir uns dem mit allem, was wir haben, entgegenstellen.

 

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