S6 Psychische Gesundheit als gesellschaftliches Problem sehen

Status:
Mit Änderungen angenommen

Die psychische Gesundheit ist in den letzten Jahren, nicht erst seit Corona, zunehmend in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit geraten. Basierend auf epidemiologischen Studien sind in Deutschland jedes Jahr 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen. Dies entspricht 17,8 Millionen Menschen. Diese hohen Fallzahlen stoßen auf ein völlig unterfinanziertes psychisches Gesundheitssystem. Wir benötigen daher eine umfassende Reform im Bereich der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung, die sich den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen und Realitäten stellt.

Wir Jusos sehen die psychische Gesundheit jedoch nicht nur als individuelles Problem an, dass eine adäquate Behandlung benötigt, oder als ein Problem des Gesundheitssystems, sondern auch als gesellschaftliches Problem. 

Psychische Krankheit findet immer im gesellschaftlichen Kontext statt. Zum einen verändert sich, was im Laufe der Zeit von der Gesellschaft als krank angesehen wird. Dabei dient das Label der (psychischen) Krankheit auch oft dazu, Menschen zu stigmatisieren und aus der Gesellschaft auszugrenzen. Zum anderen können steigende Fallzahlen psychischer Krankheiten als Hinweis darauf gesehen werden, dass in vielen Gesellschaftsbereichen Dinge nicht gut funktionieren. Das fängt an bei einer chronisch überlasteten Jugendhilfe, einem Fachkräftemangel in vielen sozialen Berufen und oft einer Unterfinanzierung in den Bereichen, in denen Menschen geholfen werden kann. 

Wir denken auch, dass psychische Krankheiten immer noch stigmatisiert werden und so eine gesellschaftliche Hürde aufgebaut wird sich in Behandlung zu begeben. Dies fängt in unserer Sprache unseren Umgang an, die Menschen psychische Krankheiten oft als Beleidigung ansieht (“Dachschaden”, “gestört”) und hört damit auf, dass es bei Versicherungen und bei der Verbeamtung teilweise als Ausschlusskriterium aufgeführt wird. Unser Ziel ist es, diese Stigmata abzubauen. Wir finden es wichtig möglichst niedrige Hürden für die Behandlung von psychischen Problemen aufzubauen.

Unsere Analyse als Jusos geht jedoch weiter. Wir sind der Überzeugung, dass psychische Krankheit auch etwas mit dem gesellschaftlichen Klima, Kapitalismus und sozialer Ungleichheit zu tun hat. Wir leben in einer Gesellschaft in der es schwer ist sich der neoliberalen Erzählung zu entziehen, dass man selbst für sein Glück verantwortlich ist. Diese Erzählung fördert und fordert eine ständige Selbstoptimierung und Anstrengung. Der gesellschaftliche Imperativ erstreckt sich dabei auf fast alle Lebensbereiche. Wir “müssen” fit, gesund, ein anregendes Sozialleben haben und gleichzeitig beruflich Erfolg haben um uns zu distinguieren.  Diese Anstrengung führt in vielen Fällen zu einem “erschöpften Selbst” und zu Überforderung. Gleichzeitig realisieren immer mehr Menschen, dass eine sich tief in der Gesellschaft verankerte ökonomische Ungleichheit gesellschaftlichen Aufstieg unmöglich macht und gerade individuelle Verantwortung für ökonomischen Erfolg verhindert. Diese klaffende Lücke zwischen gesellschaftlicher Realität und wahrgenommenem gesellschaftlichem Anspruch ist schwer für die betroffenen Menschen auszuhalten. Er kann dazu führen, dass Menschen vereinzeln, sich als isoliert wahrnehmen und sich selbst die Schuld für ihre Situation geben, obwohl diese durch gesellschaftliche Probleme ausgelöst werden. 

Darüber hinaus erzeugt die große ökonomische Ungleichheit des Kapitalismus auch eine ungleiche Gesundheit bei Menschen. Armut ist ein starker Risikofaktoren für das Erkranken an psychischen Krankheiten. Menschen die von Armut betroffen sind, haben weniger Ressourcen sich gegen Risiken abzusichern, sind im Alltag täglich Stress ausgesetzt und haben (im Durchschnitt) weniger Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe. Dieser chronische Stress hat oft eine fatale Auswirkung auf die psychische und körperliche Gesundheit, da er quasi eine ständige Überbelastung darstellt. Wir Jusos machen die extreme ökonomische Ungleichheit des Kapitalismus mitverantwortlich für die Probleme im Bereich der psychischen Gesundheit.

Deshalb ist für uns Jusos die Antwort auf die Krise der psychischen Gesundheit nicht nur “mehr Psychotherapie”, sondern immer wieder auch eine Auseinandersetzung, sowohl mit der Verteilungsgerechtigkeit, den Arbeits- und Betreuungsbedingungen, der Finanzierung und Ausgestaltung des Sozialstaates,  als auch mit dem gesellschaftlichen Zeitgeist. Eine politische Arbeit, die zum Ziel hat, dass mehr Solidarität entsteht, dass Menschen sich als Teil einer solidarischen Gesellschaft wahrnehmen und für ihre politischen Forderungen nach einem würdigen Leben in einer extrem ungerechten Gesellschaft auf die Straße gehen. 

Psychiatrische Krankenhäuser personell ausstatten und neu denken

Eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung besteht aus mehr als nur einer medikamentösen Behandlung. Für alle psychischen Krankheiten empfehlen evidenzbasierte Leitlinien heute Psychotherapie. Gleichzeitig ist eine multidisziplinäre Arbeit mit allen Berufsgruppen notwendig, um eine gute Versorgung sicherzustellen. Dazu braucht es eine ausreichende Personalausstattung und eine adäquate Abrechenbarkeit aller Leistungen, aller Berufsgruppen. Die sogenannten Fallpauschalen, die im pauschalisierten Engeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik abgebildet werden (PEPP), haben auch in der Psychiatrie und Psychosomatik verheerende Folgen. Gerade in einem Umfeld in dem Patient*innen unter anderem einen anderen Umgang mit Druck, Stress und Leistungsdenken finden wollen, wirkt sich der extreme finanzielle Druck, den alle beteiligten Personen zu spüren bekommen, negativ auf die Gesundheit der Patient*innen, aber selbstverständlich auch des Personals, aus. Deshalb bedarf es hier einer umfassenden Reform, die die besondere Arbeitsweise der Psychiatrie berücksichtigt und gleichzeitig eine Übermedizierung verhindert. 

Für viele Betroffene kann die Unterbringung in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung und damit verbundene Zwangsmaßnahmen eine sehr schmerzhafte Erfahrung sein. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren immer wieder Auflagen für Zwangsmaßnahmen und Unterbringungen festgelegt hat. Dies hat auch in den Folgejahren zu einer sprunghaften Abnahme von Unterbringungen und Zwangsmaßnahmen geführt. Wir finden es bedauernswert, dass erst Gerichte entsprechende Auflagen, nach oft mühsamen Rechtsstreiten, festlegen müssen. Dementsprechend benötigt es eine umfassende Beteiligung von Betroffenen und Patient*innen, um gesetzliche Regelungen für Zwangsmaßnahmen und Unterbringungen festzulegen. Des Weiteren wollen wir systematisch offene Psychiatriekonzepte fördern, wie zum Beispiel das “Weddinger-Modell”. Bei diesem Psychiatriekonzept wird unter anderem nicht pauschal eine ganze Station “zugesperrt”, sondern individuell und situativ entschieden, ob eine Tür abgesperrt wird. Weitere Ziele sind es es die Autonomie der Patient*innen zu stärken, die bei jedem Behandlungsschritt anwesend sind und Mitspracherecht haben, Multidisziplinäres Arbeiten zu fördern und auch Anwohner*innen einzubeziehen, um möglichen Ängsten zu begegnen. Dafür benötigte es jedoch eine ausreichende Personalausstattung und eine Umsetzung der Richtlinien “Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-RL)” und entsprechender Sanktionsmechanismen.

Wir fordern:

  • mindestens 2x 50 Minuten psychotherapeutische Behandlung im stationären Setting (bisher 1x 50 Minuten)
  • Eine Verpflichtung von Krankenhäuser Patient*innen darüber zu informieren, wenn Personalrichtlinien nicht eingehalten werden
  • Effektive Sanktionen für Krankenhäuser die dies nicht einhalten
  • Adäquate Finanzierung der Krankenkassen
  • Beschwerdemöglichkeiten für Patient*innen wenn diese nicht eingehalten werden
  • Einen Rechtsanspruch aller Berufsgruppen auf regelmäßige Supervision
  • Ablehnung der “pauschalierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik”
  • Politische Förderung offener Psychiatrie-Konzepte
  • Eine Neuregelung der Unterbringung und Zwangsmaßnahmen unter Einbeziehung von Patient*innen und Betroffenen
  • Behandlung von psychischen Krankheiten darf kein Kriterium für die Verbeamtung sein

Ausbildung zum/zur Psychotherapeut*in weiter reformieren

Mit der Reform der Psychotherapeut*innen Ausbildung im Jahr 2019 ist ein erster positiver Schritt erfolgt die Ausbildung, zumindest theoretisch, einfacher zugänglich zu machen. Sie muss jedoch noch besser werden. Durch die Ausbildungsreform haben sich die Ausbildungskosten zumindest in der Theorie verringert. Jetzt fehlt immer noch die Ausfinanzierung.

Wir sehen es als wichtiges Anliegen den Beruf des*der Psychotherapeut*in möglichst unterschiedlichen Menschen zugänglich zu machen. Diversität in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern ist uns ein generelles Anliegen. In der Psychotherapie kann durch mangelnde Diversität jedoch ein spezifischer Schaden entstehen.  Man muss nicht Freud ins Feld führen um deutlich zu machen wie die Biographie eines Therapeuten die Perspektive auf die Patient*innen prägt. Natürlich gehört es zur Berufsbeschreibung der*des Therapeut*in Empathie und Verständnis für Patient*innen zu zeigen. Psychotherapeut*innen sind aber auch Teil der Gesellschaft, die für unterschiedliche Formen der Diskriminierung unterschiedliche Maß an Verständnis hat. Wir wollen daher, dass unterschiedliche Patient*innen sich durch unterschiedliche Therapeut*innen behandeln lassen können.

Der aktuelle Weg Psychotherapeut*in zu werden sieht entweder ein Medizinstudium, oder ein Psychotherapeut*innenstudium mit anschließender 5 jähriger Weiterbildung vor. Diese Weiterbildung findet im Rahmen einer sozialversicherungspflichtigen Anstellung statt und sieht  auch einen ambulanten Teil in Praxen und Weiterbildungsstätten vor. Dafür fehlt derzeit die Finanzierung! Dies kann zur Folge haben, dass entweder eine ganze Generation von Therapeut*innen sich verschulden muss, oder der Berufszweig nur Wenigen offensteht. 

Wir fordern daher:

  • Bezahlung des praktischen Jahres für Medizinstudent*innen
  • Eine Gesetzesinitiative die die Finanzierung der Weiterbildung von Psychotherapeut*innen sicherstellt

Ambulante Versorgung reformieren

Aktuell ist die ärztliche und psychotherapeutische Versorgung in einem komplexen Gebilde selbstverwaltet. Dabei handeln die Kassenärztlichen Vereinigungen gemeinsam mit den Verbänden der Krankenkassen die Vergütung und Versorgung der Patient*innen (im Rahmen des SGB) im Gemeinsamen Bundesausschus aus. Dort haben die Krankenkassen einen starken Einfluss. Die aktuelle Bedarfsplanung beruht, mit kleinen Veränderungen, auf der Bedarfsplanung von 1999. Dadurch entstehen durchschnittlich Wartezeiten von ca. 5 Monaten. Dies ist ein inakzeptabler Zustand.

Die Selbstverwaltung ist eine historisch gewachsene Struktur, die einerseits eine gewisse Unabhängigkeit der medizinischen Versorgung vor politischem Einfluss garantiert. Andererseits ist sie nicht ausreichend demokratisch legitimiert, sorgt für Besitzstandswahrung und eine systematische Unterfinanzierung im Bereich der psychischen Gesundheit. Die Komplexität der Selbstverwaltung garantiert auch, dass jahrelange Probleme in der Versorgung von Patient*innen ignoriert werden können und immer wieder die Forderung nach “mehr Therapieplätzen” unerhört bleiben. Es ist den meisten Menschen unklar, wer dafür verantwortlich sein soll, gleichzeitig muss sich niemand politisch dafür verantwortlich zeigen.

Zugleich werden Kassensitze für viel Geld “verkauft”, es bleibt dabei unklar, wie es sein kann, dass Investoren oder einzelne Personen das Recht kaufen können, über die Krankenkassen abzurechnen. Diese Kassensitze werden dabei von den Kassenärztlichen Vereinigungen in einer Selbstverwaltung (nach gesetzlichen Richtlinien) verwaltet. Oft werden diese Sitze über Generationen vererbt, oder auch von Investoren aufgekauft die dann Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen anstellen. Dies hohen Preise müssen refinanziert werden. Dadurch werden weitere Impulse für eine vollständige Durchökonomisierung der ambulanten Patient*innenversorgung gesetzt. Dort wo es der Selbstverwaltung nicht gelingt, wie im Bereich der psychischen Gesundheit, für eine ausreichende Versorgung der Patient*innen zu sorgen, muss eingegriffen werden.

Eine besondere Not zeigt sich in der ambulanten Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Bisher war es auch Pädagog*innen möglich, diese Ausbildung abzuschließen. Dies wird nach der Reform der Psychotherapeut*innenausbildung nicht mehr möglich sein. Zu befürchten ist, dass es dann zu wenige Kinder- und Jugendtherapeut*innen gibt. Oft stellt sich die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auch als zeitlich anspruchsvoller dar, da auch die Eltern mit einbezogen werden müssen. Um diese Arbeit besser gestalten zu können, sollten mehr Stunden für die Arbeit mit Eltern zur Verfügung stehen.

Wir fordern:

  • Eine Umfassende Reform des Gemeinsamen Bundesausschusses, so dass auch Parlamentarier*innen darin vertreten sind.
  • Ein umfassendes Gesetz, das den gemeinsamen Bundesausschuss beauftragt, mehr Kassensitze zur Verfügung zu stellen. Ziel muss es sein, dass niemand länger als einen Monat auf einen Kassensitz wartet.
  • Sollten Patient*innen bei fünf Therapeut*innen länger als ein Monat auf einen Therapieplatz warten müssen, sollte ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden über das Kostenerstattungsverfahren, auch bei approbierten Psychotherapeut*innen ohne Kassensitz in Therapie zu gehen
  • Ein Verbot von Investoren getragenen medizinische Versorgungszentren (iMVZ)
  • Kassensitze dürfen nur von den praktizierenden Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen, gemeinnützigen oder kommunalen Trägern gehalten werden
  • Verbot der Weitergabe von Kassensitze an Verwandte oder verschwägerte Personen, außer wenn es keine anderen Bewerber*innen gibt
  • Die kostenlose Vergabe von Kassensitzen
  • Wir fordern eine getrennte Bedarfsplanung für Kinder- und Jugendtherapeut*innen und allgemeinen Psychotherapeut*innen
  • Mehr abrechenbare Angehörigengespräche in der Kinder- und Jugendtherapie

Umgang mit psychischen Druck in der Partei

Eine große Herausforderung für uns als Partei ist es, immer wieder unsere Grundwerte auch im Parteileben durchzusetzen. Unser Ziel ist es, dass Solidarität auch gegenüber Menschen mit psychischen Krankheiten gelebt wird und so allen Menschen ermöglicht wird, dauerhaft am Parteileben, und damit Demokratie, zu partizipieren. Es liegt uns am Herzen, dass psychische Gesundheit ein Wert an sich ist. Es ist uns wichtig, das Parteileben und insbesondere das Ehrenamt so zu gestalten, dass Menschen mit unterschiedlichen Belastungsgrenzen teilnehmen können. Allzu oft leben auch wir in der Partei einen ungesunden Leistungsgedanken vor, der besagt, auf je mehr Veranstaltungen man ist, und je öfters man sich zu Wort meldet, desto mehr hat die Stimme Gewicht. Manchmal entsteht der Eindruck, dass durch diesen oft unausgesprochenen Leistungsgedanken ein systematischer Anreiz herrscht, über seine eigene Leistungsgrenze hinauszugehen. Dies könnte ein ungesunder Mechanismus sein, bei dem wir viele engagierte Menschen verlieren. 

Unsere Aufgabe und Anspruch als demokratische politische Jugendorganisation muss es sein, Menschen mit unterschiedlichen Ressourcen politische Teilhabe zu ermöglichen.  

 

Begründung:

Adressat*innen: Landeskonferenz der Jusos Bayern, SPD Landesparteitag, Bundeskongress der Jusos, SPD Bundesparteitag

Barrierefreies PDF:
Änderungsanträge
Status Kürzel Aktion Seite Zeile AntragstellerInnen Text PDF
Annahme Ä1 zum S6 238 Jusos Oberpfalz Ersetze „Kassensitz“ durch „Kassenplatz“
Beschluss: Mit Änderungen Angenommen
Text des Beschlusses:

Die psychische Gesundheit ist in den letzten Jahren, nicht erst seit Corona, zunehmend in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit geraten. Basierend auf epidemiologischen Studien sind in Deutschland jedes Jahr 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen. Dies entspricht 17,8 Millionen Menschen. Diese hohen Fallzahlen stoßen auf ein völlig unterfinanziertes psychisches Gesundheitssystem. Wir benötigen daher eine umfassende Reform im Bereich der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung, die sich den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen und Realitäten stellt.

Wir Jusos sehen die psychische Gesundheit jedoch nicht nur als individuelles Problem an, dass eine adäquate Behandlung benötigt, oder als ein Problem des Gesundheitssystems, sondern auch als gesellschaftliches Problem.

Psychische Krankheit findet immer im gesellschaftlichen Kontext statt. Zum einen verändert sich, was im Laufe der Zeit von der Gesellschaft als krank angesehen wird. Dabei dient das Label der (psychischen) Krankheit auch oft dazu, Menschen zu stigmatisieren und aus der Gesellschaft auszugrenzen. Zum anderen können steigende Fallzahlen psychischer Krankheiten als Hinweis darauf gesehen werden, dass in vielen Gesellschaftsbereichen Dinge nicht gut funktionieren. Das fängt an bei einer chronisch überlasteten Jugendhilfe, einem Fachkräftemangel in vielen sozialen Berufen und oft einer Unterfinanzierung in den Bereichen, in denen Menschen geholfen werden kann.

Wir denken auch, dass psychische Krankheiten immer noch stigmatisiert werden und so eine gesellschaftliche Hürde aufgebaut wird sich in Behandlung zu begeben. Dies fängt in unserer Sprache unseren Umgang an, die Menschen psychische Krankheiten oft als Beleidigung ansieht (“Dachschaden”, “gestört”) und hört damit auf, dass es bei Versicherungen und bei der Verbeamtung teilweise als Ausschlusskriterium aufgeführt wird. Unser Ziel ist es, diese Stigmata abzubauen. Wir finden es wichtig möglichst niedrige Hürden für die Behandlung von psychischen Problemen aufzubauen.

Unsere Analyse als Jusos geht jedoch weiter. Wir sind der Überzeugung, dass psychische Krankheit auch etwas mit dem gesellschaftlichen Klima, Kapitalismus und sozialer Ungleichheit zu tun hat. Wir leben in einer Gesellschaft in der es schwer ist sich der neoliberalen Erzählung zu entziehen, dass man selbst für sein Glück verantwortlich ist. Diese Erzählung fördert und fordert eine ständige Selbstoptimierung und Anstrengung. Der gesellschaftliche Imperativ erstreckt sich dabei auf fast alle Lebensbereiche. Wir “müssen” fit, gesund, ein anregendes Sozialleben haben und gleichzeitig beruflich Erfolg haben um uns zu distinguieren.  Diese Anstrengung führt in vielen Fällen zu einem “erschöpften Selbst” und zu Überforderung. Gleichzeitig realisieren immer mehr Menschen, dass eine sich tief in der Gesellschaft verankerte ökonomische Ungleichheit gesellschaftlichen Aufstieg unmöglich macht und gerade individuelle Verantwortung für ökonomischen Erfolg verhindert. Diese klaffende Lücke zwischen gesellschaftlicher Realität und wahrgenommenem gesellschaftlichem Anspruch ist schwer für die betroffenen Menschen auszuhalten. Er kann dazu führen, dass Menschen vereinzeln, sich als isoliert wahrnehmen und sich selbst die Schuld für ihre Situation geben, obwohl diese durch gesellschaftliche Probleme ausgelöst werden.

Darüber hinaus erzeugt die große ökonomische Ungleichheit des Kapitalismus auch eine ungleiche Gesundheit bei Menschen. Armut ist ein starker Risikofaktoren für das Erkranken an psychischen Krankheiten. Menschen die von Armut betroffen sind, haben weniger Ressourcen sich gegen Risiken abzusichern, sind im Alltag täglich Stress ausgesetzt und haben (im Durchschnitt) weniger Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe. Dieser chronische Stress hat oft eine fatale Auswirkung auf die psychische und körperliche Gesundheit, da er quasi eine ständige Überbelastung darstellt. Wir Jusos machen die extreme ökonomische Ungleichheit des Kapitalismus mitverantwortlich für die Probleme im Bereich der psychischen Gesundheit.

Deshalb ist für uns Jusos die Antwort auf die Krise der psychischen Gesundheit nicht nur “mehr Psychotherapie”, sondern immer wieder auch eine Auseinandersetzung, sowohl mit der Verteilungsgerechtigkeit, den Arbeits- und Betreuungsbedingungen, der Finanzierung und Ausgestaltung des Sozialstaates,  als auch mit dem gesellschaftlichen Zeitgeist. Eine politische Arbeit, die zum Ziel hat, dass mehr Solidarität entsteht, dass Menschen sich als Teil einer solidarischen Gesellschaft wahrnehmen und für ihre politischen Forderungen nach einem würdigen Leben in einer extrem ungerechten Gesellschaft auf die Straße gehen.

Psychiatrische Krankenhäuser personell ausstatten und neu denken

Eine psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung besteht aus mehr als nur einer medikamentösen Behandlung. Für alle psychischen Krankheiten empfehlen evidenzbasierte Leitlinien heute Psychotherapie. Gleichzeitig ist eine multidisziplinäre Arbeit mit allen Berufsgruppen notwendig, um eine gute Versorgung sicherzustellen. Dazu braucht es eine ausreichende Personalausstattung und eine adäquate Abrechenbarkeit aller Leistungen, aller Berufsgruppen. Die sogenannten Fallpauschalen, die im pauschalisierten Engeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik abgebildet werden (PEPP), haben auch in der Psychiatrie und Psychosomatik verheerende Folgen. Gerade in einem Umfeld in dem Patient*innen unter anderem einen anderen Umgang mit Druck, Stress und Leistungsdenken finden wollen, wirkt sich der extreme finanzielle Druck, den alle beteiligten Personen zu spüren bekommen, negativ auf die Gesundheit der Patient*innen, aber selbstverständlich auch des Personals, aus. Deshalb bedarf es hier einer umfassenden Reform, die die besondere Arbeitsweise der Psychiatrie berücksichtigt und gleichzeitig eine Übermedizierung verhindert.

Für viele Betroffene kann die Unterbringung in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung und damit verbundene Zwangsmaßnahmen eine sehr schmerzhafte Erfahrung sein. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren immer wieder Auflagen für Zwangsmaßnahmen und Unterbringungen festgelegt hat. Dies hat auch in den Folgejahren zu einer sprunghaften Abnahme von Unterbringungen und Zwangsmaßnahmen geführt. Wir finden es bedauernswert, dass erst Gerichte entsprechende Auflagen, nach oft mühsamen Rechtsstreiten, festlegen müssen. Dementsprechend benötigt es eine umfassende Beteiligung von Betroffenen und Patient*innen, um gesetzliche Regelungen für Zwangsmaßnahmen und Unterbringungen festzulegen. Des Weiteren wollen wir systematisch offene Psychiatriekonzepte fördern, wie zum Beispiel das “Weddinger-Modell”. Bei diesem Psychiatriekonzept wird unter anderem nicht pauschal eine ganze Station “zugesperrt”, sondern individuell und situativ entschieden, ob eine Tür abgesperrt wird. Weitere Ziele sind es es die Autonomie der Patient*innen zu stärken, die bei jedem Behandlungsschritt anwesend sind und Mitspracherecht haben, Multidisziplinäres Arbeiten zu fördern und auch Anwohner*innen einzubeziehen, um möglichen Ängsten zu begegnen. Dafür benötigte es jedoch eine ausreichende Personalausstattung und eine Umsetzung der Richtlinien “Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-RL)” und entsprechender Sanktionsmechanismen.

Wir fordern:

  • mindestens 2x 50 Minuten psychotherapeutische Behandlung im stationären Setting (bisher 1x 50 Minuten)
  • Eine Verpflichtung von Krankenhäuser Patient*innen darüber zu informieren, wenn Personalrichtlinien nicht eingehalten werden
  • Effektive Sanktionen für Krankenhäuser die dies nicht einhalten
  • Adäquate Finanzierung der Krankenkassen
  • Beschwerdemöglichkeiten für Patient*innen wenn diese nicht eingehalten werden
  • Einen Rechtsanspruch aller Berufsgruppen auf regelmäßige Supervision
  • Ablehnung der “pauschalierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik”
  • Politische Förderung offener Psychiatrie-Konzepte
  • Eine Neuregelung der Unterbringung und Zwangsmaßnahmen unter Einbeziehung von Patient*innen und Betroffenen
  • Behandlung von psychischen Krankheiten darf kein Kriterium für die Verbeamtung sein

Ausbildung zum/zur Psychotherapeut*in weiter reformieren

Mit der Reform der Psychotherapeut*innen Ausbildung im Jahr 2019 ist ein erster positiver Schritt erfolgt die Ausbildung, zumindest theoretisch, einfacher zugänglich zu machen. Sie muss jedoch noch besser werden. Durch die Ausbildungsreform haben sich die Ausbildungskosten zumindest in der Theorie verringert. Jetzt fehlt immer noch die Ausfinanzierung.

Wir sehen es als wichtiges Anliegen den Beruf des*der Psychotherapeut*in möglichst unterschiedlichen Menschen zugänglich zu machen. Diversität in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern ist uns ein generelles Anliegen. In der Psychotherapie kann durch mangelnde Diversität jedoch ein spezifischer Schaden entstehen.  Man muss nicht Freud ins Feld führen um deutlich zu machen wie die Biographie eines Therapeuten die Perspektive auf die Patient*innen prägt. Natürlich gehört es zur Berufsbeschreibung der*des Therapeut*in Empathie und Verständnis für Patient*innen zu zeigen. Psychotherapeut*innen sind aber auch Teil der Gesellschaft, die für unterschiedliche Formen der Diskriminierung unterschiedliche Maß an Verständnis hat. Wir wollen daher, dass unterschiedliche Patient*innen sich durch unterschiedliche Therapeut*innen behandeln lassen können.

Der aktuelle Weg Psychotherapeut*in zu werden sieht entweder ein Medizinstudium, oder ein Psychotherapeut*innenstudium mit anschließender 5 jähriger Weiterbildung vor. Diese Weiterbildung findet im Rahmen einer sozialversicherungspflichtigen Anstellung statt und sieht  auch einen ambulanten Teil in Praxen und Weiterbildungsstätten vor. Dafür fehlt derzeit die Finanzierung! Dies kann zur Folge haben, dass entweder eine ganze Generation von Therapeut*innen sich verschulden muss, oder der Berufszweig nur Wenigen offensteht.

Wir fordern daher:

  • Bezahlung des praktischen Jahres für Medizinstudent*innen
  • Eine Gesetzesinitiative die die Finanzierung der Weiterbildung von Psychotherapeut*innen sicherstellt

Ambulante Versorgung reformieren

Aktuell ist die ärztliche und psychotherapeutische Versorgung in einem komplexen Gebilde selbstverwaltet. Dabei handeln die Kassenärztlichen Vereinigungen gemeinsam mit den Verbänden der Krankenkassen die Vergütung und Versorgung der Patient*innen (im Rahmen des SGB) im Gemeinsamen Bundesausschus aus. Dort haben die Krankenkassen einen starken Einfluss. Die aktuelle Bedarfsplanung beruht, mit kleinen Veränderungen, auf der Bedarfsplanung von 1999. Dadurch entstehen durchschnittlich Wartezeiten von ca. 5 Monaten. Dies ist ein inakzeptabler Zustand.

Die Selbstverwaltung ist eine historisch gewachsene Struktur, die einerseits eine gewisse Unabhängigkeit der medizinischen Versorgung vor politischem Einfluss garantiert. Andererseits ist sie nicht ausreichend demokratisch legitimiert, sorgt für Besitzstandswahrung und eine systematische Unterfinanzierung im Bereich der psychischen Gesundheit. Die Komplexität der Selbstverwaltung garantiert auch, dass jahrelange Probleme in der Versorgung von Patient*innen ignoriert werden können und immer wieder die Forderung nach “mehr Therapieplätzen” unerhört bleiben. Es ist den meisten Menschen unklar, wer dafür verantwortlich sein soll, gleichzeitig muss sich niemand politisch dafür verantwortlich zeigen.

Zugleich werden Kassensitze für viel Geld “verkauft”, es bleibt dabei unklar, wie es sein kann, dass Investoren oder einzelne Personen das Recht kaufen können, über die Krankenkassen abzurechnen. Diese Kassensitze werden dabei von den Kassenärztlichen Vereinigungen in einer Selbstverwaltung (nach gesetzlichen Richtlinien) verwaltet. Oft werden diese Sitze über Generationen vererbt, oder auch von Investoren aufgekauft die dann Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen anstellen. Dies hohen Preise müssen refinanziert werden. Dadurch werden weitere Impulse für eine vollständige Durchökonomisierung der ambulanten Patient*innenversorgung gesetzt. Dort wo es der Selbstverwaltung nicht gelingt, wie im Bereich der psychischen Gesundheit, für eine ausreichende Versorgung der Patient*innen zu sorgen, muss eingegriffen werden.

Eine besondere Not zeigt sich in der ambulanten Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Bisher war es auch Pädagog*innen möglich, diese Ausbildung abzuschließen. Dies wird nach der Reform der Psychotherapeut*innenausbildung nicht mehr möglich sein. Zu befürchten ist, dass es dann zu wenige Kinder- und Jugendtherapeut*innen gibt. Oft stellt sich die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auch als zeitlich anspruchsvoller dar, da auch die Eltern mit einbezogen werden müssen. Um diese Arbeit besser gestalten zu können, sollten mehr Stunden für die Arbeit mit Eltern zur Verfügung stehen.

Wir fordern:

  • Eine Umfassende Reform des Gemeinsamen Bundesausschusses, so dass auch Parlamentarier*innen darin vertreten sind.
  • Ein umfassendes Gesetz, das den gemeinsamen Bundesausschuss beauftragt, mehr Kassensitze zur Verfügung zu stellen. Ziel muss es sein, dass niemand länger als einen Monat auf einen Kassenplatz wartet.
  • Sollten Patient*innen bei fünf Therapeut*innen länger als ein Monat auf einen Therapieplatz warten müssen, sollte ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden über das Kostenerstattungsverfahren, auch bei approbierten Psychotherapeut*innen ohne Kassensitz in Therapie zu gehen
  • Ein Verbot von Investoren getragenen medizinische Versorgungszentren (iMVZ)
  • Kassensitze dürfen nur von den praktizierenden Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen, gemeinnützigen oder kommunalen Trägern gehalten werden
  • Verbot der Weitergabe von Kassensitze an Verwandte oder verschwägerte Personen, außer wenn es keine anderen Bewerber*innen gibt
  • Die kostenlose Vergabe von Kassensitzen
  • Wir fordern eine getrennte Bedarfsplanung für Kinder- und Jugendtherapeut*innen und allgemeinen Psychotherapeut*innen
  • Mehr abrechenbare Angehörigengespräche in der Kinder- und Jugendtherapie

Umgang mit psychischen Druck in der Partei

Eine große Herausforderung für uns als Partei ist es, immer wieder unsere Grundwerte auch im Parteileben durchzusetzen. Unser Ziel ist es, dass Solidarität auch gegenüber Menschen mit psychischen Krankheiten gelebt wird und so allen Menschen ermöglicht wird, dauerhaft am Parteileben, und damit Demokratie, zu partizipieren. Es liegt uns am Herzen, dass psychische Gesundheit ein Wert an sich ist. Es ist uns wichtig, das Parteileben und insbesondere das Ehrenamt so zu gestalten, dass Menschen mit unterschiedlichen Belastungsgrenzen teilnehmen können. Allzu oft leben auch wir in der Partei einen ungesunden Leistungsgedanken vor, der besagt, auf je mehr Veranstaltungen man ist, und je öfters man sich zu Wort meldet, desto mehr hat die Stimme Gewicht. Manchmal entsteht der Eindruck, dass durch diesen oft unausgesprochenen Leistungsgedanken ein systematischer Anreiz herrscht, über seine eigene Leistungsgrenze hinauszugehen. Dies könnte ein ungesunder Mechanismus sein, bei dem wir viele engagierte Menschen verlieren.

Unsere Aufgabe und Anspruch als demokratische politische Jugendorganisation muss es sein, Menschen mit unterschiedlichen Ressourcen politische Teilhabe zu ermöglichen.

Beschluss-PDF: