S1 Wir wollen unser Selbstbestimmungsrecht! Deshalb: Schwangerschaftsabbrüche jenseits des Strafgesetzbuches neu regeln

Status:
Annahme

Wir begrüßen, dass die Streichung des §219a durch den Koalitionsvertrag vereinbart ist, fordern jedoch darüber hinaus die Streichung der Paragrafen 219 StGB und 218 StGB. Stattdessen fordern wir die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen im Sozialgesetzbuch und die Kostenübernahme des medizinischen Eingriffs durch die Krankenkasse. Eine entsprechende Anpassung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes ist notwendig. Bei dieser Neuregelung sind die Beratungspflicht sowie die Fristenregelung ersatzlos zu streichen. Schwangerschaftsabbrüche gegen den Willen der Schwangeren sollen weiterhin im Strafgesetzbuch verankert bleiben.

Begründung:

Die gesellschaftlichen Debatten sind so alt wie die 150-jährige Geschichte des Paragraphen Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Die aktuelle Fassung stellt einen Kompromiss in Form einer Kombination aus einem durch eine Beratungspflicht ergänzten Fristenmodell bis zur zwölften Schwangerschaftswoche einerseits und einer erweiterten medizinischen und kriminologischen Indikationenlösung andererseits dar. Das heißt, dass Abbrüche nach diesen drei Kriterien als straffrei gelten – formal jedoch gilt ein Abbruch nach der Beratungspflicht und Fristenregelung immer noch als „rechtswidrig“, die nach medizinischer und kriminologischer Indikation nicht.  Diese grundlegende Rechtswidrigkeit konterkariert die Enttabuisierung des Themas Schwangerschaftsabbruch in der Gesellschaft und macht es somit betroffenen Frauen schwer, offen über ihre Situation zu sprechen und schnell und direkt Hilfe und Unterstützung zu bekommen. Die daraus resultierende Versorgungslücke ist offensichtlich: In der Oberpfalz und Niederbayern gibt es noch je zwei Arztpraxen, die Abbrüche durchführen! Weder in Schwaben noch in der Oberpfalz gibt es Kliniken die Schwangerschaftsabbrüche durchführen! Die Regelungen für einen Schwangerschaftsabbruch, der auf Wunsch der Schwangeren durchgeführt wird, müssen deshalb aus dem Strafgesetzbuch entfernt werden. Hingegen muss im Strafgesetzbuch der Passus verbleiben, dass Abbrüche, die gegen den Willen der Schwangeren durchgeführt werden, eine besonders schwere Tat darstellen und entsprechend bestraft werden.

Da selbst bei richtiger Anwendung kein Verhütungsmittel mit kompletter Sicherheit vor einer Schwangerschaft schützt, kann jede Person in die Situation einer ungewollten Schwangerschaft kommen. So folgt auf die Einnahme der Pille in 10 bis 90 von 10.000 Fällen dennoch eine Schwangerschaft, bei der Verhütung mit Kondom sind es sogar 200 bis 1.200 Fälle. Daher muss der schwangeren Person das Recht auf Selbstbestimmung zugestanden und ein sicherer Schwangerschaftsabbruch ohne Stigmatisierung ermöglicht werden.

Die für die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen notwendigen gesetzlichen Regelungen und die vollständige Kostenübernahme der medizinischen Leistung sollen somit künftig im Sozialgesetzbuch festgeschrieben sein. Daraus ergibt sich auch eine notwendige Anpassung des Schwangerschaftkonfliktgesetzes. Die Beratungspflicht und die Fristenregelung sind dabei ersatzlos zu streichen. Die Realität in den Beratungseinrichtungen zeigt, dass die überwiegende Mehrzahl der Frauen ihre Entscheidung bereits getroffen haben. Sie kommen nicht offen oder hilfesuchend in die Beratung, sondern lassen diese über sich ergehen, um den nächsten Schritt zum Abbruch vornehmen zu können. Frauen hingegen, die zweifeln, die überfordert sind und abwägen, wissen genau, wann und wie sie Hilfe und Unterstützung benötigen und werden diese auch aufsuchen, wenn es ein freiwilliges Beratungsangebot gibt. Der Zugang zu diesen Beratungsangeboten muss ausreichend mit staatlichen Mitteln finanziert werden und niederschwellig gewährleistet sein, außerdem in jedem Fall ergebnisoffen sein. Zudem findet wie gewohnt und bei allen anderen medizinischen Eingriffen auch eine verpflichtende ärztliche Aufklärung statt. Wir fordern ein Ende der Entmündigung betroffener Frauen in dieser Situation und somit die Aufhebung der Beratungspflicht im Zuge der gesetzlichen Neuordnung. So hat auch die WHO Deutschland vor einigen Jahren aufgefordert, die Beratungspflicht und die 3-Tage-Wartezeit dazwischen abzuschaffen, weil dadurch die Gesundheit der Frau gefährdet werde.

Auch die Fristenregelung ist ersatzlos zu streichen, denn auch sie gefährdet die Gesundheit der Schwangeren. In den Niederlanden, GB, Lettland oder Estland werden Abbrüche bis zur 20. bzw. 22 Schwangerschaftswoche durchgeführt. In Kanada gibt es keine vorgeschriebenen Fristen und keine einzige Frau in Kanada hat seit den 80er Jahren ein Baby im 8. Monat abgetrieben – diese Horrorszenarien sind frauenverachtend und entbehren jeglicher Grundlage.

Die gesetzliche Regelung schreibt mit der Beratungspflicht und der Fristenregelung zwei einzuhaltende Aspekte fest, die dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen einerseits und der maximal zu geltender Wahrung der Gesundheit der betroffenen Frauen andererseits konträr entgegenstehen. Die in §218 StGB festgeschriebene Pflicht zur Beratung jedoch, spricht betroffenen Frauen per se ab über den eigenen Körper zu bestimmen. Ungewollte Schwangerschaften werden nicht durch Zwang und Kontrolle verhindert, sondern durch sexuelle Aufklärung und kostenfreie Verhütungsmittel.

Dementsprechend soll dieser Antrag keine moralische Wertung vornehmen, sondern die gesellschaftliche Stigmatisierung und Kriminalisierung eines medizinischen Eingriffs beenden, der betroffenen Personen abspricht verantwortungsvoll über den eigenen Körper zu entscheiden.

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