S11 Schwangerschaftsabbruch raus aus der Tabu-Zone!

Status:
Nicht abgestimmt

Die SchwabenSPD gibt folgende Forderungen an den Landesparteitag und den Bundesparteitag weiter:

  • ein Recht auf Abbruch der Schwangerschaft für jede Frau*
  • Die Kosten für den Abbruch (rund 300-500 Euro) sollen von den Krankenkassen getragen werden und nicht wie bis dato üblich von der Schwangeren selbst
  • Staatlich getragene Beratungsstellen sollen für jede betroffene Frau* in zumutbarer Entfernung zur Verfügung stehen
  • das Recht und damit den Anspruch auf eine Schwangerschaftskonfliktberatung und die anschließende Unterstützung sozialgesetzlich zu regeln, unabhängig davon, ob sie sich für oder gegen einen Abbruch entscheidet. Die Beratung muss ergebnisoffen geführt werden
  • eine ersatzlose Streichung des §219a StGB
  • Aufnahme des Themenbereichs Schwangerschaftsabbruch ins Medizinstudium
  • Medizinische Leitlinien zum Schwangerschaftsabbruch
  • Schutz der Ärzt*innen, Gynökolog*innen vor Angriffen sog. „Lebensschützer*innen“
  • Entstigmatisierung der Ärzt*innen, Gynökolog*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen
  • Ein vollständiger Überblick, wie viele Ärzt*innen in Deutschland an welchen Orten Schwangerschaftsabbrüche durchführen
  • Ein ausreichendes Angebot an Praxen und Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche
  • Eine Homepage der Bundesärztekammer mit sachlichen, neutralen Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch
  • Das Thema Schwangerschaftsabbruch muss thematisch sachlich in der Schule im Biologieunterricht und nicht nur im Religionsunterricht behandelt werden
  • Das Thema Schwangerschaftsabbruch muss in die Gesellschaft getragen werden
  • das Recht auf psychologische Begleitung nach einem Schwangerschaftsabbruch und ein niederschwelliger Zugang zu Beratungsstellen
  • eine bis zu zwölfwöchige Krankschreibung, die, sofern keine medizinische Indikation besteht, in Einzelfallentscheidungen mit den betroffenen Frauen* im Konsens entschieden wird
  • Beratungsstellen die in zumutbarer Entfernung liegen
  • geschulte Psychotherapeut*innen

·         es muss jederzeit die Möglichkeit gegeben sein, die Leibesfrucht durch die Angehörigen bestatten zu lassen.

Begründung:

Europaweit erstarken rechte und religiös fundamentalistische Gruppierungen. Dies macht sich auch in der sexuellen Selbstbestimmung, für die wir seit Jahrzehnten kämpfen, bemerkbar. Gruppierungen wie die Pro life-Bewegung oder sog. “Märsche für das Leben”, aber auch die Union und AfD möchten die reproduktiven Rechte von Frauen* einschränken und stigmatisieren bzw. kriminalisieren Betroffene und Ärzt*innen.

Recht ist nicht mit Gerechtigkeit gleichzusetzen. Der Rechtsstaat ist nicht unfehlbar und ist wie die Gesellschaft selbst den gesellschaftlichen Anschauungen der Zeit unterworfen. Wie auch der gesellschaftliche Kampf um die sexuelle Selbstbestimmung ist auch das Recht dazu noch zu erkämpfen.

Wir  Jusos/SPD  bekennen  uns  zur  Selbstbestimmung  von  sexuellen  und  reproduktiven  Rechten. Jede*r   soll über  die eigene  reproduktive Gesundheit  selbst  entscheiden  dürfen.  Dies  bedeutet die Wahrung  einer  selbstbestimmten Entscheidung  über  den  Schwangerschaftszeitpunkt  und  die  mögliche Kinderanzahl.  Im Falle einer Schwangerschaft die Entscheidung darüber zu treffen das Kind auszutragen oder die Schwangerschaft abzubrechen, ist aus unserer feministischen Überzeugung das genuine Recht der Frau*.

Schwangerschaftsabbruch ist kein gesellschaftliches Stigma – §§218 f. StGB streichen

Der im Jahre 1872 eingeführte § 218 StGB stellt den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe und ist dem Abschnitt “Straftaten gegen das Leben” neben Mord und Totschlag zugeordnet.  Für die Entscheidung damals war nicht nur die Gesundheit oder der Schutz des ungeborenen Lebens wichtig, sondern auch die Kontrolle weiblicher Reproduktion und der Wert der Frau als eigenständige Person mit ihrer autonomen Entscheidung. Bis in die 1970er Jahre hinein drohte Frauen* bei einer Abtreibung sogar eine Gefängnisstrafe von bis zu 5 Jahren. „Der Paragraf 218 ist in dem, was er real bewirkte, ein schwer erträglicher Restbestand sozialer Ungerechtigkeit des vorigen Jahrhunderts” sagte Willy Brandt im Jahr 1974. In diesem Jahr wurde die Reform des § 218 StGB verabschiedet, nach der der Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche straffrei bleiben sollte. Dieser umstrittenen Reform machte das Bundesverfassungsgericht jedoch im Jahr 1975 einen Strich durch die Rechnung, indem es folgenden Leitsatz aufstellte: ”Der Lebensschutz der Leibesfrucht [aus  Art. 2 II 1 GG, Art. 1 I GG] genießt grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und darf nicht für eine bestimmte Frist in Frage gestellt werden.” Diesem Leitsatz möchten wir entschieden entgegentreten!

Wir Jusos/SPD sehen die verfassungsrechtliche Schwierigkeit der Abwägung zwischen pränatalem Lebensschutz und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau, jedoch empfinden wir das vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Frauenbild als Restbestand sozialer Ungerechtigkeit und der patriarchalen Sichtweise aus der Gesetze geschrieben und Strafrecht definiert wird. Es ist aus unserer Sicht unerträglich, dass das Bundesverfassungsgericht der Ansicht ist, dass “der Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein muss (Bestätigung von BVerfGE 39, 1). Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden.”. Dies hat zur Folge, dass noch heute Schwangerschaftsabbrüche als rechtswidrig angesehen werden. Sie bleiben lediglich unter bestimmten Bedingungen, wie beispielsweise durch die Teilnahme an einer Beratung und unter Einhaltung bestimmter Fristen, straffrei. Alle Schwangeren, die einen Abbruch planen, werden somit unter Generalverdacht gestellt eine Straftat zu begehen. Dieser Umstand ist nicht hinnehmbar!

Dem Selbstbestimmungsrecht der Frau muss Rechnung getragen werden. Auch gesundheitliche Aspekte sprechen dafür den Schwangerschaftsabbruch raus aus der strafrechtlichen Illegalität zu führen. So ist festzustellen, dass in Ländern, in denen der Schwangerschaftsabbruch unter Strafe steht, dieser meistens erst im 4. oder 5. Monat stattfindet und von medizinisch nicht fachkundigem Personal unter unhygienischen Bedingungen durchgeführt wird. Dies führt zu erheblichen Komplikationen, die zum Teil zu schwersten Verletzungen oder gar zum Tod führen können. (BeckOK StGB/Eschelbach StGB § 218 Rn. 1)

Die sogenannte Fristenlösung, wie sie bis jetzt im §218a I Nr.3 StGB geregelt ist, dass nur bis zur zwölften Woche nach der Empfängnis ausnahmsweise der Schwangerschaftsabbruch straffrei erfolgen kann, lehnen wir ab. Die Frist ist, auch im Hinblick darauf, dass der Fötus vor der 22. Woche weder Schmerzempfinden noch ein Bewusstsein hat, willkürlich gesetzt. Zudem treten immer häufiger die Fälle auf, dass Frauen erst nach der zwölften Woche mitbekommen, dass sie schwanger sind. Viele Fälle von Abbrüchen nach der zwölften Woche gehen mit häuslicher Gewalt oder Angst vor Bestrafung von ihren Familien einher. Diese willkürliche Hürde darf nicht sein! So erkannte die Drucksache des Bundestags 12/696 aus dem Jahr 1991 schon richtig: “Die Festlegung einer Frist, nach deren Ablauf eine Abtreibung verboten ist, unterstellt, daß Frauen nicht dazu in der Lage sind, selbständig die für sie richtige Entscheidung zu treffen. Die Drei-Monats-Frist ist willkürlich und durch nichts zu begründen. Sie erzeugt zudem einen unvertretbaren Zeitdruck: Wenn eine ungewollte Schwangerschaft erst spät entdeckt wird, was gerade bei sehr jungen oder bei älteren Frauen leicht vorkommen kann, ist die Drei-Monats-Frist für eine reifliche Entscheidung zu kurz.”

Andere Länder leben es vor

In anderen Ländern, die bereits die strafrechtliche Regelung für ungültig erklärt oder gestrichen haben, ist die von konservativen Seiten viel prophezeite Abtreibungswelle nicht eingetreten. Nach Studien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die weit verbreitete Ansicht, nach der die Legalisierung den Abbruch fördert, falsch. Verbote hätten laut ihren Ergebnissen keinen Einfluss auf die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch, sondern der Verbreitungsgrad an Verhütungsmitteln.  

Beispielsweise hat das Oberste Gericht Kanadas 1988 das bis dahin geltende Abtreibungsgesetz für ungültig erklärt. Das Gericht begründete ihr Urteil damit, dass eine Frau unter Strafandrohung zum Austragen einer ungewollten Schwangerschaft zu zwingen, außer sie genüge bestimmten Kriterien, die mit ihren eigenen Prioritäten und Lebenszielen nichts zu tun hätten, bedeute eine tiefgreifende Verletzung ihrer körperlichen Integrität.

Der Schwangerschaftsabbruch unterliegt dort seitdem denselben Bestimmungen wie jeder andere ärztliche Eingriff und ist ansonsten nicht gesetzlich geregelt. Wie vor jedem medizinischen Eingriff sind Ärzt*innen dort gesetzlich verpflichtet, die Patientin umfassend zu informieren und sicherzustellen, dass sie ihre Entscheidung selbstverantwortlich und in voller Kenntnis aller Umstände trifft. Die Abortrate ist in Kanada seitdem leicht gesunken und gleicht der westeuropäischer Länder (2014:  11,6/1000 Frauen in Kanada und 12/1000 Frauen in westeuropäischen Ländern).  92% der Eingriffe werden in Kanada in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten durchgeführt, nur 2% nach der 16. Woche (meist wegen einer schweren Schädigung des Fötus).

Schwangerschaftskonfliktberatungen reformieren

Der § 219 StGB regelt die Beratung von Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage. Die Beratung verfolgt das Ziel, die Schwangere zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu bewegen. Dies wird damit begründet, dass das ungeborene Kind in jedem Entwicklungsstadium ein Recht auf Leben hat. Ein Schwangerschaftsabbruch käme nur dann in Frage, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft für die Frau eine Belastung darstelle, die so schwer und außergewöhnlich sei, dass sie die zumutbare Opfergrenze übersteige. Diese Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen stellen den Frauen eine Bescheinigung aus, die rechtlich notwendig ist, um von einer*m Arzt* Ärztin einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen zu können.

Diese Regelungen zur Schwangerschaftskonfliktberatung beinhalten Aspekte, die für uns als Jusos nicht vertretbar sind und die wir darum ändern wollen. Durch den Beratungszwang wird die Selbstbestimmung der Schwangeren massiv eingeschränkt und stellt eine erhebliche Bevormundung dar. Einen Beratungszwang für ungewollt Schwangere lehnen wir daher ab und machen uns stattdessen für einen gesetzlich Anspruch auf Beratung und Unterstützung wie in anderen Bereichen des Sozialrechts stark. Jeder Mensch hat das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Sexuelle Selbstbestimmung kann nur dann gelebt werden, wenn alle Menschen freien Zugang zu Informationen über medizinische Behandlungen haben. Die Beratung sollte die Pro/Contra Seiten einer Abtreibung hinreichend darstellen.  

Weg mit §219a StGB! Den Weg zu Informationen entkriminalisieren

Der in 1933 in Kraft getretene § 219a StGB verbietet, dass Ärzt*innen selber Auskunft darüber geben, ob sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, und über die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen informieren. Er nimmt Schwangeren gleichzeitig dadurch die Möglichkeit, sich anonym und selbstständig zu informieren. Es kann und darf nicht sein, dass medizinische Informationen für Frauen Ärzt*innen kriminalisieren. Nach § 219a StGB kann die Informationen über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen als Werbung verstanden werden und zu einer Verurteilung führen.

Mit dem stark zugenommenen Rechtsruck in unserer Gesellschaft in jüngster Zeit missbrauchen konservative, selbsternannte Lebensschützer*innen diesen Paragraphen im verstärkten Maße, um Ärzt*innen anzuzeigen. So wurde die Ärztin Kristina Händel von so einer Person angezeigt und im vergangenen Jahr zu 6.000 Euro Strafe verurteilt, weil sie auf ihrer Homepage angegeben hatte, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen.

Im populärsten Strafrechtskommentar “Trödle/Fischer”, der in allen Bücherregalen von Strafrechtler*innen zu finden ist, wird argumentiert, dass § 219 a StGB verhindern solle, „dass die Abtreibung in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird“. Auf diesen Satz beziehen sich fast alle Gerichte und Staatsanwälte und zementieren diesen so zur herrschenden Meinung. Die richterliche Auslegung, die so maßgeblich von einem einzigen Strafrechtskommentar geprägt wird, setzt regelmäßig sachliche Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen mit Werbung gleich.

Problematisch ist hierbei, dass der ehemalige Herausgeber dieses Kommentars, Herbert Tröndle (*1919 + 2017), sich selbst gegen Schwangerschaftsabbrüche engagierte und eben diese Kommentierung vornahm. Tröndle schrieb unter anderen für das „Lebensschutzhandbuch“ des katholischen Bonifatiusverlags und engagierte sich an führender Stelle in der Juristen-Vereinigung “Lebensrecht”. 1993 schrieb er in einem Beitrag zu dem Buch “Das zumutbare Kind”, dass schwangere Frauen sich durch die Abtreibung einer natürlichen Aufgabe entledigen würden und einer durch ihr Vorverhalten begründeten rechtlichen Pflicht nicht nachkommen. Die Meinung eines solchen Mannes kann nicht die Rechtsprechung beherrschen!

Dies sieht die Bundesärztekammer ebenso. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, plädiert ebenfalls für eine Abschaffung des Werbeverbots. §219 a StGB kriminalisiere Ärzt*innen in nicht nachvollziehbarer Weise, heißt es in einer Resolution der Delegiertenversammlung der Ärztekammer Hamburg. Die Berufsordnung der Ärzteschaft regele in ausreichendem Maße die Grenzen zwischen Werbung und Information.

Sexuelle Selbstbestimmung zu verwirklichen heißt, einen schnellen und neutralen Zugang zu Informationen über Sexualität und sexueller Gesundheit zu ermöglichen. Das Angebot von Schwangerschaftsabbrüchen muss als Teil einer flächendeckenden ärztlichen Grundversorgung angesehen werden.

Konsequenz des §§218ff. StGB: Kein Thema während des Medizinstudiums

101.200 Abtreibungen wurden nach dem Bundesamt für Statistik im Jahr 2017 durchgeführt. Im Berichtsjahr 2016 wurden in Deutschland 98.721 Schwangerschaftsabbrüche an das Statistische Bundesamt gemeldet. 11.291 der Schwangerschaftsabbrüche 2016 waren in Bayern. Der Schwangerschaftsabbruch gehört damit zum häufigsten chirurgischen Eingriff in der Gynäkologie.

Medizinische Leitlinien zum Schwangerschaftsabbruch wie etwa in den USA, Großbritannien, Kanada oder auch der WHO gibt es in Deutschland keine. Ein Umstand, den Pro Familia bereits 2014 in einem Rundbrief kritisiert hatte. In Deutschland fehle es an „Standards oder Leitlinien zur fachgerechten Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen“, heißt es in dem Brief.

So wird auch im Medizinstudium der Schwangerschaftsabbruch kaum besprochen oder gar praktisch geübt. Er taucht lediglich im “Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin” (NKLM) auf, den der medizinische Fakultätentag gemeinsam mit der Gesellschaft für medizinische Ausbildung entwickelt hat, ist aber kein Regelwerk für die Universitätskliniken. So werden beispielsweise an dem größten Universitätsklinikum, der Charité in Berlin, lediglich die rechtlichen und ethischen Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs gelehrt, nicht aber die Methoden. Hier üben die angehenden Mediziner*innen den Eingriff in ihrer Freizeit an Papayas statt in einer Pflichtveranstaltung, nachdem dort einige Studierende diesen Missstand nicht weiter hinnehmen wollten und deshalb die Initiative „Medical Students For Choice Charité Berlin“ mit dem Ziel, die Lehre über den Schwangerschaftsabbruch zu verbessern, ins Leben gerufen haben. Aus Angst vor dem Strafgesetzbuch und der Stigmatisierung wird an den Universitäten der Eingriff nicht geübt.

Ob angehende Gynäkolog*innen lernen, wie man einen Abbruch vornimmt, hängt davon ab, ob das Krankenhaus, an dem sie ihre Facharztausbildung absolvieren, solche Eingriffe vornimmt. Viele Krankenhäuser, vor allem die in kirchlicher Trägerschaft, führen keine Abbrüche durch. Auch in der Weiterbildung für Gynäkolog*innen ist man bei Schwangerschaftsabbrüchen auf internationale Kongresse angewiesen.

Zu wenig Ärzt*innen

Durch die Kriminalisierung im Strafrecht und das nicht vorhandene Auseinandersetzen im Studium haben dazu geführt, dass immer weniger Ärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche durchführen. In ganz Niederbayern gibt es beispielsweise nur noch einen über 70-jährigen Arzt, der noch Abbrüche durchführt, weil es sonst niemand machen will. In einigen Regionen haben Frauen schon jetzt keine Chance mehr, einen Schwangerschaftsabbruch in der näheren Umgebung vornehmen zu lassen. Wer zum Beispiel in Trier wohnt, muss dafür mindestens 100 Kilometer ins Saarland fahren. Und nach dem Eingriff, mit Schmerzen und der psychischen Belastung, wieder zurück.

Bundesweit gibt es der Bundesärztekammer zufolge etwa 18.500 berufstätige Ärzt*innen in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Das Statistische Bundesamt gibt an, bundesweit führten derzeit nur etwa 1.200 Ärzt*innen Abbrüche durch, Tendenz leicht abnehmend. Ein vollständiger Überblick, wie viele Ärzt*innen in Deutschland an welchen Orten Schwangerschaftsabbrüche durchführen, existiert dank §219a StGB nicht.

Laut Schwangerschaftskonfliktgesetz müssen die Bundesländer ein ausreichendes Angebot an Praxen und Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche sicherstellen. Den Gesundheitsministerien vieler Länder aber liegen keine Zahlen vor. Stattdessen verweisen sie wahlweise auf die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Landesärztekammern, die Berufsverbände der Frauenärzte oder an die Krankenhausgesellschaften. Das bayerische Staatsministerium für Gesundheit erklärt, es gebe 27 Kliniken, die in Bayern Schwangerschaftsabbruch durchführen – 15 davon tun das aber nur bei medizinischer oder kriminologischer Indikation. Mit 96,1 % wurden aber die meisten Eingriffe 2016 nach der Beratungsregelung vorgenommen. Eine medizinische oder kriminologische Indikation war in lediglich 3,9 % der Fälle die Begründung für den Schwangerschaftsabbruch.

Dazu kommen hohe Hürden. Wer als niedergelassene Ärzt*in operative Schwangerschaftsabbrüche durchführen will, muss vor allem ambulant operieren können und über die entsprechenden Räumlichkeiten und das Personal verfügen. Dazu kommen je nach Bundesland weitere Vorgaben – in Bayern etwa müssen Ärzt*innen noch eine Fortbildung nachweisen, in der es neben den medizinischen auch um die ethischen Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs geht.

Das größte Problem ist aber, dass in Deutschland immer mehr Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, in Rente gehen– und es an Nachwuchskräften fehlt. Diese Ärzt*innen haben überwiegend in den Siebzigerjahren, während der Frauenbewegungen, ihr Studium absolviert und handeln aus einer politischen Überzeugung heraus. Diese ist in den vergangenen Jahren in der Gesellschaft entpolitisiert und in die sog. Tabuzone gekommen, so dass die nachkommenden Generationen an Ärzt*innen mit diesem Thema nicht vertraut sind und aus oben genannten Gründen nicht in ihrem Studium in Berührung kommen.

Schwangerschaftsabbruch muss zum gesellschaftlichen Thema werden

Weltweit erlebt ungefähr jede dritte Frau in ihrem Leben einmal eine Abtreibung. Zwei von drei ungewollten Schwangerschaften entstehen trotz Verhütung. Keine Frau treibt gerne ab. Und jede Frau stellt sich vor einem Abbruch Fragen, die quälen. Viele Frauen* berichten laut ZEIT ONLINE, die Frauen zu ihren Erfahrungen zu Abbrüchen befragten, nicht von Selbstbestimmung, sondern von Verheimlichung vor der Familie, Beleidigungen im Internet und einsamen Entscheidungen. Psychotherapeut*innen beklagen, dass viele Frauen* noch unter einem Schwangerschaftsabbruch leiden und niemanden haben, mit dem sie darüber reden können.

Der Schwangerschaftsabbruch ist gesellschaftlich immer noch ein Makel, der auf das Individuum, die einzelne Frau, abgewälzt wurde. Doch je weniger wir darüber sprechen und das so wichtige Thema aus der Ecke des Unaussprechbaren holen, desto gesellschaftsfähiger wird die Haltung der Abtreibungsgegner*innen.

Eine ungewollte Schwangerschaft legal und professionell beenden zu können, muss eine “normale” Alternative sein – illegal, unhygienisch und in Hinterzimmern den Ausweg aus einer Notsituation zu finden, wird nämlich nie “normal” sein können. Das bedeutet keinesfalls, dass dieser Eingriff für die Betroffene* “normal” sein könnte.

Es gehört unglaublicher Mut und die große Überwindung dazu, mit solchen Erlebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir sind als Gesellschaft noch weit davon entfernt, eine Sprache für das Erlebte zu finden, Tabuzonen und Scham zu durchbrechen und Strukturen der Stigmatisierung zu verstehen. Darüber zu sprechen, schafft Bewusstsein, nimmt der gesellschaftlichen Struktur an Macht und gibt anderen wiederum den Mut, über ihr Erlebtes sprechen zu können.

Zur sexuellen Selbstbestimmung gehört auch, gesellschaftliche Räume zu schaffen, die den Dialog darüber ermöglichen. Sexualität geht uns alle an.

Mehr Schutz bei Abgängen

Schwangerschaftsabbrüche sind jedoch nicht notwendigerweise die Folge eines gewollt herbei geführten Abbruchs. Der Abgang eines Fetus unter 500g Gewicht wird “Fehlgeburt” genannt, der Abgang von Feten über 500g “Totgeburt”. Es wird angenommen, dass in der Gruppe der 20– bis 29-jährigen Frauen etwa die Hälfte der befruchteten Eizellen spontan zugrunde gehen. Klinisch werden aus den genannten Gründen davon jedoch nur etwa 15 % bis 20 % als Fehlgeburten erkannt, etwa 30 % der Frauen* sind in ihrem Leben von einer oder mehreren Fehlgeburten betroffen. Darüber zu sprechen, ist jedoch ein Tabuthema. Ursachen sind zumeist chromosomale Besonderheiten des Fetus, endokrine Störungen der Mutter* oder Infektionskrankheiten. Erhöht wird das Risiko eines Abgangs durch das Alter der Eltern.

Das Wort “Fehlgeburt” lässt den Schluss zu, der Abgang des Fetus sei auf Fehlverhalten der Schwangeren* zurück zu führen. Dem zu Grunde liegt dieselbe frauenverachtende und patriarchal Gedachte Grundannahme, die Frauen das Recht auf einen Abbruch verweigert: Unmündige Menschen, deren Aufgabe es ist, den Fortbestand der Menschheit durch Gebären von Leben zu sichern und auf eigene Bedürfnisse zu verzichten.  Auch werden Mütter nach “Fehlgeburten” rechtlich allein gelassen: es besteht kein gesetzlicher Anspruch auf die Schutzfrist nach der Entbindung. Entscheidend ist lediglich das Gewicht des verstorbenen Kindes: unter 500g Gewicht besteht keinerlei Anspruch auf eine Schutzfrist, zwischen 500-2500g handelt es sich um eine Frühgeburt und es ergibt sich ein Anspruch auf die verlängerte Schutzfrist von 12 Wochen und ab 2500g besteht die achtwöchige Schutzfrist. Diese Regelungen negieren das Recht auf individuelle Verarbeitung des Geschehenen.

Empfehlung der Antragskommission:
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