Die SPD versteht sich als Volkspartei, die ihre Wurzeln in der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung hat. Sie beansprucht, sich im Kern an den Bedürfnissen derjenigen Menschen zu orientieren, die ihren Lebensunterhalt durch Arbeit sichern. Als dadurch wirtschaftlich zunächst schlechter gestellte Bevölkerungsmehrheit sind die abhängig Beschäftigten in ihrem Streben nach guten Arbeitsbedingungen, einem funktionierenden Sozialstaat und gerechter Verteilung des von ihnen geschaffenen Wohlstandes auf solidarische gewerkschaftliche und politische Interessenvertretung angewiesen. Die Zukunftsfragen unserer Gesellschaft und der Menschheit können nur auf der Grundlage dieser Solidarität und sozialer Gerechtigkeit gelöst werden.
Erfolg, Mehrheitsfähigkeit und derzeit sogar das Überleben der Sozialdemokratie hängen davon ab, ob sie das Vertrauen der Arbeitnehmerschaft zurückgewinnt. Das Themenfeld Arbeit spielt dabei eine zentrale Rolle.
Eine Partei der Arbeit braucht neben der Präsenz in den Wohnbereichen die Verankerung in den Betrieben, Verwaltungen und Einrichtungen. Die Verankerung am Arbeitsplatz und in der Arbeitswelt muss (wieder) zur zweiten Säule der Parteiorganisation werden. In Zeiten von steigender Mobilität, Digitalisierung, Homeoffice versus Präsenz und einer auch zunehmenden regionalen Spaltung der Lebensverhältnisse müssen wir der Arbeitnehmerschaft ein politisches und organisatorisches Angebot unabhängig vom Wohnort machen. Das zieht erhebliche Anstrengungen im Zuge einer wirkungsvollen Parteireform nach sich.
1) Politik braucht Organisation. Organisation ist Mittel zum Zweck, also zur Gewinnung von Mehrheiten sowie zur Umsetzung von Programmen und Inhalten. Organisation in der Sozialdemokratie muss sicherstellen,
– dass Entscheidungsprozesse transparent und demokratisch von unten nach oben stattfinden,
– dass alle Mitglieder gleichberechtigte Entscheidungsrechte und -möglichkeiten haben,
– dass alle Mitglieder auch in Präsenz am Arbeitsort oder regional am Parteileben teilnehmen können,
– dass Wahlen und Abstimmungen ein Höchstmaß an Klarheit und Repräsentativität schaffen,
– dass Meinungen zusammengeführt und gebündelt werden,
– dass Konsens und Verbindlichkeit entstehen, die zu solidarischem Handeln führen,
– dass unsere Ressourcen möglichst effizient eingesetzt werden,
– und dass Rechenschaft und Kontrolle ermöglicht werden.
2) Sozialdemokratische Politik hat Werte und eine soziale Basis. Kern der Wähler- und Mitgliedschaft der SPD müssen wieder die abhängig Beschäftigten werden. Ziel und Aufgabe der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD (AfA) ist es dabei, sozialdemokratische Politik in die Betriebe, Verwaltungen und Einrichtungen zu vermitteln und gleichzeitig die Interessen aus der Arbeitswelt und der Gesellschaft in die Partei und die Parlamente zu tragen, mehrheitsfähig zu machen und durchzusetzen. Der Erfolg dessen hängt ganz entscheidend von einer möglichst großen Mitgliedschaft und funktionierenden demokratischen Strukturen ab.
In unserer Klassengesellschaft verfügen nicht alle Menschen über gleiche Zugangsmöglichkeiten zu politischer Gestaltung. Es bestehen erhebliche Unterschiede hinsichtlich Vermögen und Einkommen, verfügbarer Zeit, Bildung, Kommunikationsgewohnheiten und -möglichkeiten. Auf diese Unterschiede, die derzeit wieder zunehmen, müssen wir besonders achten. Wir als SozialdemokratInnen wollen Politik für die Vielen, für die Mehrheit, machen.
Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass die Arbeitswelt und die Arbeitnehmerschaft stark ausdifferenziert, zunehmend prekarisiert und polarisiert sind. Unsere Partei braucht deshalb angemessene Arbeitsformen, die auf die Lebenswirklichkeit aller ArbeitnehmerInnen Bezug und Rücksicht nehmen und gleichzeitig den Egoismen und den sozialen und politischen Zersplitterungstendenzen entgegenwirken. Der Erhalt und die Weiterentwicklung von Solidarität erfordern solidarische Kommunikations- und Arbeitsformen.
Daher genügt es nicht, den Wohnortbezug unserer Statuten durch digitale Formate zu ergänzen. Die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts verlangt nach einer zweiten Säule politischer Repräsentanz in der SPD. Deshalb wollen wir moderne, flexible, der jeweiligen Arbeitssituation angepasste Strukturen von Betriebs- und Branchengruppen einschließlich regionaler oder landes- und bundesweiter Betriebsgruppenzusammenschlüsse, Betriebsvertrauensleuten und Personengruppen (Betriebs- und Personalräte, Schwerbehindertenvertretungen, Jugend- und Auszubildendenvertretungen, Mitglieder aus Aufsichts- und Verwaltungsräten, Mitarbeitervertretungen, hauptamtliche und ehrenamtliche GewerkschafterInnen, interessierte Einzelpersonen…). Als Betriebsgruppenorganisation der SPD unterstützt, organisiert und vereinigt die AfA auch überbetriebliche Betriebsgruppenzusammenschlüsse mit den entsprechenden demokratisch gewählten Betriebsgruppenkonferenzen und -Vorständen auf Branchenebene (z.B. Eisenbahnen, Bundeswehr, Post, Telekom, Autoindustrie). Die Zusammenarbeit schlägt sich beispielsweise in der Zugehörigkeit der jeweiligen Sprecher/Vorsitzenden zum AfA Bundesausschuss mit beratender Stimme nieder. Die AfA ist schon von ihrer Gründungsidee, aber auch in ihrer Struktur der Ansatz für eine moderne Organisation, die sich strategisch, inhaltlich und praktisch auf eine sich laufend verändernde Arbeitswelt beziehen kann.
Entscheidend wird dabei sein, dass
– unsere Angebote den spezifischen Nutzen, unser Alleinstellungsmerkmal als SPD und AfA in Gestalt einer Schnittstelle Betrieb-Gewerkschaft-Partei-Politik aufweisen; wir sollten nicht vorhandene Gremien, etwa von Gewerkschaften, nachbilden oder in Konkurrenz dazu treten,
– die SPD selbst nicht konkurrierende Angebote macht, sondern arbeitnehmerbezogene Politikformen nur in enger Abstimmung und Koordination mit der AfA veranstaltet sowie die Erfahrungen und Kompetenzen der AfA nutzt,
– unsere Parteiorganisation haupt- wie ehrenamtlich ab der Ebene des Unterbezirks die Bildung von arbeitnehmerInnenbezogenen Strukturen unterstützt und mindestens ab der Ebene des (Regional-)Bezirks mit hauptamtlicher Zuarbeit und angemessenem Budget ausstattet,
– Spezifizierte Verteiler für den gesamten Bereich „ArbeitnehmerInnen“ aufgebaut werden, auf die die auf der jeweiligen Ebene gewählten AfA-Vorstände Zugriff haben,
– auch auf Bundesebene die einheitliche, von demokratisch gewählten AfA-Gremien (Bundesvorstand, Bundesausschuss) verantwortete, finanziell und mit hauptamtlichem Personal angemessen ausgestattete ArbeitnehmerInnen-Struktur gestärkt wird.
– die Medien der Partei, angefangen beim Vorwärts bis in die digitale Kommunikation, das gesamte Spektrum der Partei abbilden und vor allem auch arbeitnehmerInnenbezogene Themen und AfA-Positionen aufgreifen. Dazu gehören eine authentische Sprache und verständliche Darstellungsformen. Komplexe Sachverhalte und notwendige Kompromisse sind nachvollziehbar zu erklären und zu begründen, anstatt undifferenziert abzufeiern. Unsere Funktions- und MandatsträgerInnen sollten dahingehend qualifiziert werden.
3) Die Arbeiterbewegung gewann ihre Stärke als Selbstorganisation der arbeitenden Menschen, die ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen. Die Glaubwürdigkeit der SPD hängt davon ab, dass wir uns wieder besser in der Arbeitnehmerschaft verankern. Glaubwürdigkeit und Vertrauen wachsen erst dann wieder, wenn die ArbeitnehmerInnen den Eindruck gewinnen, dass ihre Meinungen und Interessen in der SPD wahrgenommen und umgesetzt werden – gerade in Zeiten, in denen schwierige und konfliktreiche Entscheidungen und Kompromisse getroffen werden müssen. Dies kann nur auf direktem Weg über ihre originäre Vertretung in der Partei, die AfA, geschehen. Die ArbeitnehmerInnen brauchen daher in allen Vorständen und Gremien der Partei, in allen für ihre Belange relevanten Arbeitszusammenhängen von ihnen selbst gestelltes und von der Partei gewähltes Personal aus ihren Reihen.
Wir regen daher an, Organisationsstatut, Wahlordnung und Richtlinien so zu gestalten, dass
– in jedes Vorstandsgremium ab der Unterbezirks-/Kreisverbandsebene ein/e VertreterIn der AfA wie der anderen Arbeitsgemeinschaften zu wählen sind,
– in allen Vorständen, die mehr als vier stellvertretende Vorsitzende haben, ein stellvertretendes Mitglied nur auf Vorschlag der AfA gewählt werden kann,
– in allen Vorständen, die aus mehr als 20 Mitgliedern bestehen, mindestens zwei Mitglieder zu wählen sind, die gewerkschaftliche und/oder betriebliche Funktionen in der Interessenvertretung haben und von der AfA vorgeschlagen sind,
– jeder Delegiertenkonferenz der Partei mindestens 10%, maximal 20% Delegierte angehören, die auf einer AfA-Konferenz oder Mitgliederversammlung der jeweiligen Ebene gewählt wurden. Dort haben bestehende Betriebsgruppen besonderes Gewicht.
Dabei ist selbstverständlich die Quotenregelung zu beachten. Sollten die jeweiligen Personalvorschläge der AfA nicht die notwendigen Mehrheiten finden, bleiben die betreffenden Positionen unbesetzt.
4) Für die Bundesebene erfordert dies Änderungen im Organisationsstatut, im Haushalt der Partei und in der Organisation der Parteizentrale.
- a) Organisationsstatut: Dem Parteivorstand gehören je eine VertreterIn der auf Bundesebene eingerichteten Arbeitsgemeinschaften mit beratender Stimme an.
- b) Organisationsstatut/Wahlordnung: Solange dem Parteivorstand fünf oder mehr stellvertretende Vorsitzende angehören, kann eine/r von ihnen nur auf Vorschlag der AfA gewählt werden. In Ausnahmefällen kann dies durch entsprechende Wahl eines Präsidiumsmitgliedes geschehen
- c) Organisationsstatut/Wahlordnung: Zwei der zu wählenden Mitglieder des Parteivorstandes sind gewerkschaftliche und/oder betriebliche InteressenvertreterInnen, die nur auf Vorschlag der AfA gewählt werden können.
- d) Dem Bundesparteitag und dem Parteikonvent gehören mindestens zwei direkt von der AfA auf Bundesebene entsandte Delegierte an.
- e) Die politische Arbeit im Zuständigkeitsbereich der AfA ist finanziell im Rahmen der Möglichkeiten der Gesamtpartei angemessen auszustatten. Darüber ist zwischen SchatzmeisterIn/Geschäftsführung und AfA jährlich rechtzeitig zu verhandeln. Die Mittel für alle Aktivitäten im ArbeitnehmerInnen-Bereich sind in einem Titel zu bündeln. Sie dürfen nicht nur ein Minimum an Gremienarbeit garantieren, sondern müssen Raum für ausreichende politische Arbeit – auch dezentral und regional – einschließlich Öffentlichkeitsarbeit schaffen. Dazu gehört der auf Dauer angelegte Aufbau politischer Bildungsarbeit speziell für politisch Aktive aus der sozialdemokratischen Arbeitnehmerschaft. Neu errichtete Arbeitszusammenhänge (Themenforen, Mitgliederbeirat, Länderrat, Kommunalrat…) dürfen nicht zulasten der Arbeitsmöglichkeiten der Arbeitsgemeinschaften gehen.
- f) Es ist wieder ein AfA-Referat einzurichten, das im Willy-Brandt-Haus für die Umsetzung der gesamten Arbeit der AfA und der Arbeitnehmerpolitik zuständig ist. Hier sind auch die AfA-relevanten Daten, die Öffentlichkeitsarbeit einschließlich der digitalen Medien, sowie die Arbeit der bundesweiten Betriebs-, Branchen- und Personengruppen zu bündeln. Die Arbeit und die Besetzung des AfA-Referats finden in enger Abstimmung mit dem AfA Bundesvorstand statt.
- g) Die AfA ist bei der Besetzung aller relevanten Kommissionen, Arbeitskreise und Delegationen zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für die Antragskommission zu Parteitagen und Parteikonvent, Organisationspolitische Kommission, Lenkungsgruppen, Grundwertekommission, SPE-Delegation, Auswahlgremien wie für die Parteischule…
Auf Bezirks- und Landesebene gilt all dies sinngemäß. Auch dort ist hauptamtliche Zuarbeit und die Vertretung in den Gremien, in Kommissionen, Gewerkschaftsräten sicherzustellen. Dafür sind auf Landesebene jeweils entsprechende verbindliche Vereinbarungen und Regelungen zu schaffen.