A16 Das Rentenpaket weiterentwickeln: Reform und Revitalisierung der gesetzlichen Rente – Den Lebensstandard im Alter sichern

Status:
Annahme
  1. Rentenpolitischen Kurswechsel konsequent fortsetzen

Mit dem abschlagsfreien Rentenbezug nach 45 Versicherungsjahren, der „Mütterrente“ mit der höheren Bewertung von Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborenen Kindern und höheren Erwerbsminderungsrenten konnte die SPD im Koalitionsvertrag erstmals seit Jahrzehnten wieder strukturelle Verbesserungen im Rentenrecht verankern.

Die Grundrichtung des Maßnahmenpakets stimmt: es bringt Leistungsverbesserungen für viele Millionen Menschen und korrigiert rentenpolitische Fehlentscheidungen der Vergangenheit. Auch jüngere Jahrgänge profitieren vom Rentenpaket der Bundesregierung: denn auch sie können nach 45 Versicherungsjahren künftig zwei Jahre früher ohne Abschläge in Rente gehen.

Wir begrüßen daher das beschlossene Rentenpaket als wichtigen rentenpolitischen Fortschritt. Es markiert erste wichtige Schritte auf dem Weg zu einer grundlegenden Revitalisierung der gesetzlichen Rente.

Statt die Altersvorsorge auf Kosten einer Mehrheit der Arbeitnehmer und Rentner zu privatisieren und sie den enormen Risiken globalisierter Finanzmärkte und langandauernder Niedrigzinsphasen auszusetzen, muss es um eine grundlegende Erneuerung des Generationenvertrages und die Sicherung eines angemessenen Rentenniveaus gehen, das den Lebensstandard im Alter absichert. In den Koalitionsverhandlungen erwiesen sich grundlegendere Korrekturen in der Rentenpolitik mit den Unionsparteien jedoch als nicht verhandelbar.

Die entscheidende rentenpolitische Herausforderung der Zukunft besteht in der Wiederherstellung einer lebensstandardsichernden gesetzlichen Rente. Denn Langzeitarbeitslosigkeit, atypische Beschäftigung und die Ausweitung von Niedriglohnsektoren haben in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend unsere Arbeitswelt geprägt. Das Arbeitsleben vieler Menschen ist brüchiger und poröser geworden. Auf Grundlage von unterbrochenen und gering entlohnten Erwerbsbiographien droht künftig vielen Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Armut im Alter bzw. ein Alterseinkommen, das der Lebensleistung der Menschen nicht mehr gerecht wird. Es besteht perspektivisch die Gefahr, dass die gesetzliche Rente selbst nach sehr langen Beitragszeiten auf ein Grundsicherungsniveau reduziert wird, das Bedürftigen auch ohne jahrzehntelange Beitragsleistung zustünde. Dies würde die gesellschaftliche Akzeptanz des Generationenvertrages bzw. der gesetzlichen Rente aushöhlen und das Tor für neoliberale Systemveränderer weit aufstoßen. Doch auch durch die Kürzungen im Leistungsrecht der Rente und durch das deutlich abgesenkte gesetzliche Rentenniveau sind durchschnittliche Erwerbs- und Rentenbiographien entwertet worden. Eine große Rentenreform muss die bisherige Altersvorsorgepolitik grundsätzlich neu ausrichten und sich – anknüpfend an die aktuell beschlossenen Maßnahmen – an folgenden Leitlinien orientieren:

  1. Problemstellungen und Ziele sozialdemokratischer Rentenpolitik

Unser rentenpolitisches Ziel: Den Lebensstandard im Alter sichern

Wir SozialdemokratInnen werden nicht akzeptieren, dass Altersarmut wieder zu einem Massenphänomen in unserer Gesellschaft wird. Denn es ist eine der großen zivilisatorischen Leistungen des solidarischen und umlagefinanzierten Rentensystems, die Altersarmut weitgehend zurückgedrängt zu haben. Die Reichtums- und Armutsberichte der Bundesregierung belegen, dass das Risiko von Altersarmut bislang unterdurchschnittlich stark ausgeprägt ist. Doch die derzeit vergleichsweise günstige Einkommenssituation im Alter beruht auf den kontinuierlichen, von Arbeitslosigkeit wenig betroffenen Erwerbsbiographien der 50er bis 80er Jahre. Vor Einführung der dynamischen Altersrente im Jahr 1957 befand sich die gesetzliche Rente dagegen auf dem Niveau eines begrenzten Einkommenszuschusses im Alter und konnte daher Altersarmut nicht wirksam verhindern. Eine lebensstandardsichernde Altersversorgung stellt deshalb einen fundamentalen gesellschaftlichen Fortschritt dar, der auch künftig durch einen vernünftigen Vorsorge-Mix mit der umlagefinanzierten staatlichen Rente als Hauptsäule der Alterssicherung und Betriebsrentenansprüchen gesichert werden muss. Die Rentenpolitik muss sich vorrangig daran messen lassen, ob sie diesen Fortschritt bewahrt. Die langfristige Stabilisierung der Beitragssätze ist beschäftigungspolitisch sicherlich sinnvoll. Doch die Rentenpolitik muss – weil die gesetzliche Rente als beitragsfinanzierte Versicherung organisiert ist – zunächst ein angemessenes Sicherungsziel definieren. Der Generationenvertrag wird nur dann eine Zukunft haben, wenn Altersarmut in großem Stil zuverlässig vermieden werden kann und die Altersrenten nach lebenslanger Erwerbsarbeit und Beitragszahlung den erarbeiteten Lebensstandard absichern können. Die Rentenpolitik darf sich deshalb nicht auf das Ziel einer langfristigen Stabilität der Beitragssätze verengen lassen.

Risiken kapitalgedeckter Privatvorsorge

Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund der globalen Finanzkrise, die die neoliberalen Protagonisten einer vorwiegend kapitalgedeckten Altersvorsorge gründlich blamiert hat. Im Krisenjahr 2008 haben die privaten Pensionsfonds nach OECD-Angaben weltweit insgesamt 23% ihres Werts eingebüßt, was rund 5,4 Billionen Dollar entspricht. Das bedeutet, dass viele Menschen einen beträchtlichen Teil ihrer in Altersvorsorgeplänen und anderen Vermögenswerten angelegten Altersersparnisse verloren haben. Damit sind die eklatanten Risiken einer privaten und kapitalgedeckten Altersversorgung evident geworden. Die Ausweitung kapitalgedeckter Elemente in der Altersversorgung hat in den letzten Jahrzehnten einen spekulationsgetriebenen Finanzkapitalismus befeuert, der auf kurzfristige Renditen statt auf nachhaltige Unternehmensentwicklung setzt. Diese Entwicklung muss grundlegend korrigiert werden, wenn der Wandel hin zu einem auf Nachhaltigkeit und sozial-ökologischer Verantwortung basierenden Wirtschaftsmodell gelingen soll.

Auch die Annahmen zur langfristigen Renditeentwicklung der staatlich geförderten kapitalgedeckten Privatvorsorge („Riester-Rente“) mit jahresdurchschnittlich 4 Prozent stehen vor dem Hintergrund der Finanzmarkt- und Zinsentwicklungen der letzten Jahre auf tönernen Füßen. In den ursprünglichen Szenarien, die dieser Teilprivatisierung der Altersvorsorge zugrundelagen, wurde nachgerade ein Kardinalfehler der damaligen Privatisierungs- und Finanzmarkteuphorie auch von regierungsamtlicher Seite nachvollzogen: bei Annahme eines jahresdurchschnittlich realen Wirtschaftswachstums von 1,7 Prozent wurde dennoch eine Kapitalverzinsung (der Riesterprodukte) von 4 Prozent erwartet (Rürup-Kommission). Ein derartiges Auseinanderklaffen der realen Wachstumsentwicklung von der (fiktiven) Kapitalverzinsung impliziert dabei einen ständig fallenden Anteil der Löhne am Volkseinkommen und geht damit von einer fatalen langfristigen Umverteilung zugunsten der Kapitaleinkommen aus. Dass sich aufgrund einer derartigen Entkoppelung der fiktiven Kapitalverzinsung von der realen Wertschöpfung spekulative Blasen bilden und Finanzmarktkrisen die Renditen beeinträchtigen könnten, wurde ausgeblendet.

Mehrfach hat der Gesetzgeber auch in Deutschland bereits zugunsten der privaten Lebensversicherungen und zulasten der Allgemeinheit eingegriffen, um den Bestand dieser Kapitalgesellschaften zu sichern und das Modell der „kapitalgedeckten“ Altersvorsorge nicht völlig an die Wand fahren zu lassen. Dies geschah beispielsweise 2000/2001 durch steuerliche Entlastungen in Milliardenhöhe, durch die steuerliche Förderung der Riester-Rente, durch die Bankenrettung 2008 und die Änderungen im Versicherungsrecht 2014. Da die Kapitalmarktrenditen weiterhin extrem niedrig sind, ist nunmehr geplant, die Versicherungskonzerne an den staatlich garantierten Verzinsungen privat finanzierter öffentlicher Infrastruktur zu beteiligen (neue Form von ÖPP).

Für die Arbeitnehmerseite bedeutete die Teilprivatisierung auch keineswegs eine Entlastung von den Kosten einer lebensstandardsichernden Altersvorsorge. Denn statt eines höheren Rentenbeitrages müssen jetzt höhere Aufwendungen für die private Zusatzvorsorge geleistet werden. Die private freiwillige Altersvorsorge wirkt dabei höchst selektiv, weil sich längst nicht alle Versicherten lebenslang eine zusätzliche Privatvorsorge leisten können. Viele Beschäftigte werden daher das reduzierte gesetzliche Rentenniveau nicht mit zusätzlichen privaten Prämienzahlungen kompensieren können. Es muss daher im Zuge der Teilprivatisierung mit einer Zunahme der Einkommensungleichheit im Alter gerechnet werden. Zudem sind die geförderten Altersvorsorgeprodukte mit zahlreichen gravierenden Mängeln behaftet, wie eine umfängliche Studie der Verbraucherzentrale im Jahr 2009 ergeben hat (keine nutzbaren Kosteninformationen, fehlende Markttransparenz, zuungunsten der Sparer gestaltete Sterbetafeln uvm.). Die Anrechnung von Riester-Renten auf die Grundsicherung macht diese Form der Altersvorsorge für geringverdienende und / oder diskontinuierlich Beschäftigte vollends unattraktiv. Die Inanspruchnahme der Riester-Förderung ist daher weit hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückgeblieben: nicht einmal die Hälfte der Förderberechtigten nutzt die öffentlich geförderte private Altersvorsoge. Ein großer Teil der Verträge ist zudem beitragsfrei gestellt, wird also gar nicht mehr nicht aktiv bespart. Den vollen Zulageanspruch schöpfen nur gut sechs Millionen Sparerinnen und Sparer aus. Die Riesterrente entpuppt sich daher – bezogen auf die ursprüngliche Zielsetzung einer Kompensation des gekürzten gesetzlichen Rentenniveaus – als pure Illusion. Die Teilprivatisierung der Altersversorgung wird weder hinsichtlich der Reichweite noch hinsichtlich der Renditeentwicklung die Lücken schließen können, die infolge der Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus entstanden sind. Sofern rentenpolitisch nicht umgesteuert wird, drohen die Rentnerinnen und Rentner dauerhaft vom Wohlstandszuwachs der Gesellschaft abgehängt zu werden. Das gilt vor allem für diejenigen, die im Niedriglohnsektor tätig sind und sich eine zusätzliche Altersvorsorge zumeist nicht leisten können. Von den Geringverdienern haben mehr als 40 Prozent weder eine Betriebsrente noch eine Riester-Rente, bei den mittleren Einkommen sind es immer noch mehr als ein Viertel. Diese Menschen sind im Alter in der Regel allein auf die gesetzliche Rente angewiesen.

Produktivität schlägt Demographie

Die kapitalgedeckte private Vorsorge kann sich zudem auch nicht gegen die demographische Entwicklung immunisieren, weil jeder Sozialaufwand einer Periode immer aus dem laufenden Volkseinkommen bezahlt werden muss. Im Rahmen einer Kapitaldeckung führt die Alterung der Gesellschaft zu niedrigeren Renditen, weil der Anteil der Älteren steigt, die sich zur Finanzierung des Altenteils entsparen und ihre Eigentumstitel verkaufen müssen, während gleichzeitig aber der Anteil der Jüngeren sinkt, die diese Eigentumstitel nachfragen können. Bei steigendem Angebot und sinkender Nachfrage sinkt somit die Kapitalverzinsung. Weil Kapitaldeckung nicht über das Horten von Konsumgütern erfolgen kann, ist es realwirtschaftlich nicht möglich, dass jede Generation für sich selber vorsorgt. Vielmehr ist jede Generation immer auf die Solidarität der nachfolgenden (Erwerbstätigen-)Generation angewiesen. Zur Generationensolidarität kann es daher gesellschaftlich keine vernünftige Alternative geben. Die Beiträge der erwerbstätigen Generation bilden hierbei nicht nur die Basis für die eigene Alterssicherung, sondern stellen auch eine Gegenleistung für die Leistungen der älteren Generation dar, die sie für die jeweils jüngeren Kohorten erbracht haben (Unterhalt, Erziehung, Ausbildung, größerer volkswirtschaftlicher Kapitalstock). In umlagefinanzierten Systemen erfolgt die Anpassung an einen höheren Anteil Älterer über höhere Beiträge und / oder Steuern oder Leistungskürzungen. Es kann jedoch im umlagefinanzierten System des Generationenvertrages politisch entschieden werden, wie die relativen Lasten des demographischen Wandels verteilt werden. Der demographische Wandel ist im Übrigen keinesfalls ein neues Phänomen. Schon seit Gründung der deutschen Rentenversicherung im vorletzten Jahrhundert verändert sich die Relation der Jüngeren und den Älteren (fortlaufend steigende Lebenserwartung, sinkende Geburtenraten). Die daraus resultierenden Verschiebungen in der Altersstruktur führen unbestritten dazu, dass eine abnehmende Anzahl von Menschen im erwerbsfähigen Alter einer steigenden Anzahl von Menschen im Rentenalter gegenübersteht. So entfielen im Jahr 1900 noch 12,5 Erwerbsfähige auf eine Person im Rentenalter (65); im Jahr 1950 waren es nur noch 7 Erwerbsfähige, in 1975 waren es 4,5 und heute sind es noch 3,3 Erwerbsfähige. Im Jahr 2030 werden es nur mehr 2,3 Personen sein. Doch trotz der sich ständig verschlechternden Relation der Älteren zu den Jüngeren sowie einer im Zeitverlauf zunehmenden Beitragsbelastung der Aktiven ist der Lebensstandard der jeweils erwerbstätigen Generation im Zeitverlauf ebenfalls angestiegen. Der Schlüssel für das Verständnis dieser nur scheinbar paradoxen Entwicklung (steigender Lebensstandard trotz steigender „Alterslast“) liegt in der ansteigenden Arbeitsproduktivität. Infolge des technisch-arbeitsorganisatorischen Fortschritts und besserer Ausbildung kann ein Erwerbstätiger pro durchschnittliche Arbeitsstunde einen höheren Output produzieren. Die steigende Beitragslast im Zuge der Alterung ist also eine relative Mehrbelastung der künftig Erwerbstätigen insoweit, als ein höherer Anteil des Einkommens der Aktiven des Jahres 2030 für die Altersversorgung abgezweigt werden muss. Diese relative Mehrbelastung führt jedoch wegen der steigenden Arbeitsproduktivität eben nicht zu einem abnehmenden Lebensstandard der künftigen Erwerbstätigengenerationen, sondern – wie in der Vergangenheit auch – zu einem Anstieg des künftigen Lebensstandards. Nach den Berechnungen der Rürup-Kommission wird die Arbeitsproduktivität im langfristigen Durchschnitt mit 1,8 Prozent jährlich ansteigen, sodass das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt von 2002 bis 2040 von 1,98 Bio Euro auf dann 3,63 Bio Euro ansteigen wird. Da sich zudem die Bevölkerungszahl vermindert, wird das verteilbare Sozialprodukt pro Kopf sogar noch stärker ansteigen (von 24.200 Euro auf 46.500 Euro pro Jahr). Die erwerbstätige Bevölkerung wird also künftig wegen der steigenden Produktivität und trotz höherer „Alterslast“ eine deutlich höhere Kaufkraft erreichen als die heutige Erwerbstätigengeneration trotz vergleichsweise niedrigerer Beitragslast. Ganz abgesehen davon haben sich schon jetzt aufgrund der unerwartet positiven Folgen der Migration viele der Prognosen zu den Auswirkungen des demographischen Wandels überholt. Einmal mehr zeigt sich nicht nur die Unsicherheit von demographischen Vorausberechnungen, sondern auch die dominierende Wirkung ökonomischer Faktoren, wie z. B. der Entwicklung der Arbeitseinkommen und der Beschäftigung.

Das Risiko von Altersarmut schon im Ansatz bekämpfen

Mit einer sozial orientierten Arbeits- und Beschäftigungspolitik wollen wir die Ursachen dieser Entwicklung konsequent bekämpfen, damit künftig wieder kontinuierliche und auf guter Arbeit basierende Erwerbsbiographien entstehen können. Für die zurückliegenden zwei Jahrzehnte sind jedoch bereits Rentenanwartschaften entstanden, die auf unterbrochenen Versicherungsverläufen und zunehmender Niedriglohnarbeit beruhen und damit das Risiko der Altersarmut in sich tragen. Um die sich daraus ergebenden negativen Konsequenzen für die Altersversorgung abzuwenden, dürfen die Sicherungsziele der gesetzlichen Rente nicht einseitig auf die Beitragssatzstabilität verengt werden.

Gesetzliche Rente: Sicherungsziele neu ausbalancieren

Berechnungen zeigen, dass die Rendite der gesetzlichen Rentenversicherung positiv ist und auch für kommende Generationen positiv bleibt. So ermittelt die Deutsche Rentenversicherung eine langfristige Rendite zwischen +3,0 Prozent und +3,4 Prozent. Und selbst der neoliberal ausgerichtete Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bestätigt, dass die Rendite der gesetzlichen Rentenversicherung trotz des langfristig rückläufigen Sicherungsniveaus vor Steuern in den kommenden Jahrzehnten deutlich positiv bleiben wird (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion – Drucksache 18/3467 –). Demgegenüber haben sich die Renditeerwartungen der Riester-Produkte bei weitem nicht erfüllt. Die Herabsetzung des Garantiezinses auf 1,25 Prozent zu Beginn des Jahres 2015 sowie auch die weiter schwelende globale Finanz- und Bankenkrise werden die private Renditeentwicklung weiterhin massiv eintrüben. Die Rentenpolitik muss daher Antworten finden auf die seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise völlig veränderten Rahmenbedingungen. Es gilt, die rentenpolitischen Ziele neu auszubalancieren. Sicherung des Lebensstandards, Verhinderung von Altersarmut und Beitragssatzziele müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Das ist gegenwärtig jedoch nicht der Fall. Denn mit der Deckelung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung auf maximal 22 Prozent im Jahre 2030 wurde 2002 ein einschneidender rentenpolitischer Paradigmenwechsel vorgenommen. Bis zu diesem Zeitpunkt verfolgte die Rentenpolitik das primäre Ziel, den erarbeiteten Lebensstandard nach 45 Versicherungsjahren mit Durchschnittsverdienst allein durch die gesetzliche Rente abzusichern. Die Abkehr der Rentenpolitik vom Ziel der Lebensstandardsicherung bzw. die einseitige Ausrichtung auf das Ziel der Beitragsstabilität erfolgte um den Preis einer drastischen Absenkung der künftigen Rentenleistungen um knapp ein Viertel bis 2030.

Das Sicherungsziel der gesetzlichen Rente wird grundsätzlich durch das sog. Rentenniveau bzw. Standardrentenniveau ausgedrückt. Es basiert auf der Annahme einer durchschnittlichen Erwerbsbiographie mit 45 Entgeltpunkten (45 Jahre Beitragszahlung jeweils mit dem Durchschnittsverdienst aller Versicherten). Die darauf resultierende Rente wird dann ins Verhältnis gesetzt zum aktuellen Durchschnittsentgelt der Versicherten. Das Rentenniveau gibt daher Auskunft über die Teilhabeposition der Rentner im Verhältnis zu den Erwerbstätigen. Bis zum Jahr 2005 wurde als relevante Messlatte das sog. „Nettorentenniveau“ verwendet. Der Jahresbetrag der Nettostandardrente (Bruttostandardrente aus 45 Entgeltpunkten abzüglich der Rentnerbeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung) wurde rechnerisch ins Verhältnis gesetzt zum durchschnittlichen Nettoarbeitsverdienst der Aktiven (Bruttolöhne abzüglich Steuern und Sozialabgaben, entnommen aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung). Als unterer Richtwert für eine lebensstandardsichernde gesetzliche Altersrente galt bis 1998 ein Nettorentenniveau von ca. 70 Prozent. Mit 45 durchschnittlichen Beitragsjahren konnte also eine Nettorente erzielt werden, die 70 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens entsprach. Infolge der Riester-Reformen und des RV-Nachhaltig-keitsgesetzes wurde eine drastische Absenkung des Nettorentenniveaus auf nur mehr 58,5 Prozent für das Jahr 2030 vorgenommen. Durch den Übergang auf die sog. Nachgelagerte Besteuerung der Renten durch das Alterseinkünftegesetz sinkt das Rentenniveau für den Rentenzugang des Jahres 2030 sogar auf nur mehr 52,5 Prozent. Der Übergang auf die nachgelagerte Besteuerung hat das bis dato geltende Nettorentenniveau als allgemeine Messlatte zur Bestimmung des Sicherungsziels der Rente faktisch ausgehebelt. Denn künftig entscheidet das Rentenzugangsjahr über die Höhe des Anteils der Rente, der besteuert wird. Seither verwendet der Gesetzgeber daher nicht mehr das Nettorentenniveau, um sein Sicherungsziel zu beschreiben, sondern das sog. „Sicherungsniveau vor Steuern“. Dabei wird von der steuerlichen Belastung sowohl der Arbeitsentgelte als auch der Renten abgesehen. Gemessen an diesem „Sicherungsniveau vor Steuern“ sinkt das gesetzliche Rentenniveau von anfänglich 53 Prozent in 2000 auf nur mehr 43 Prozent im Jahr 2030.

Die Niveaukürzungen wurden dabei im Kern durch die Einführung des sog. „Riester-Faktors“ und des sog Nachhaltigkeitsfaktors in die Rentenformel bewerkstelligt. Der Riester-Faktor unterstellt fiktiv, dass alle Arbeitnehmer 4 Prozent ihres jährlichen Bruttoeinkommens für private Altersvorsorge aufwenden. Damit wird die Entwicklung der Nettoentgelte niedriger ausgewiesen als sie tatsächlich stattfindet, weil nicht der tatsächlich viel niedrigere Verbreitungs- und Durchdringungsgrad der Riestervorsorge berücksichtigt wird. Der Nachhaltigkeitsfaktor soll dagegen auch die künftigen Veränderungen im Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlern widerspiegeln. Der Anstieg der Renten wird bei einer Erhöhung der Zahl der Rentner im Verhältnis zur Zahl der Beitragszahler gedämpft. Im Ergebnis wurden damit die Renten effektiv von der Lohnentwicklung abgekoppelt. Die Konsequenzen für das System der gesetzlichen Rentenversicherung sowie für dessen Akzeptanz sind weitreichend. Denn mit der drastischen Absenkung des Rentenniveaus steigt die Anzahl der erforderlichen Beitragsjahre signifikant an, die künftig erforderlich sein wird, um einen zahlbaren Rentenanspruch wenigstens in Höhe der vorleistungsunabhängigen sozialen Grundsicherung erwerben zu können. Anders ausgedrückt: trotz jahrzehntelanger Beitragszahlung droht künftig Sozialbedürftigkeit bzw. eine Anspruchshöhe, die auch ohne Beitragsleistung zustünde.

So reichten im Jahr 2006 für einen Durchschnittsverdiener noch 26,5 Beitragsjahre aus, um einen Nettorentenanspruch auf Höhe der sozialen Grundsicherung zu erwerben. Im Jahr 2009 waren es schon 27,5 Jahre. Infolge der weiteren Absenkung des Rentenniveaus wird die Zahl der erforderlichen Beitragsjahre mit Durchschnittsverdienst um weitere fünf Jahre auf dann etwa 32,5 Jahre ansteigen. Erst jenseits dieser Schwelle wird der Durchschnittsverdiener (derzeit gut 2.500 Euro brutto monatlich) einen Anspruch oberhalb der Sozialbedürftigkeit erwerben können. Während sich die Position der Durchschnittsverdiener also relativ verschlechtern wird, werden die Beschäftigten in Niedriglohnregionen oder Niedriglohnsektoren kaum mehr Rentenansprüche oberhalb des Grundsicherungsniveaus erwerben können. Denn mit einem Verdienst von ca. 75 Prozent des Durchschnitts wird die Sozialhilfeschwelle künftig erst nach gut 43 Beitragsjahren erreicht sein (heute: nach 35,5 Jahren). Es ist dabei zu berücksichtigen, dass ein Wert von 75 Prozent des Durchschnittseinkommens aller Versicherten (monatlich 1.875 Euro brutto) immer noch deutlich über dem anvisierten Mindestlohnniveau von derzeit 8,50 Euro liegt (ca. 1.470 Euro bei Vollzeittätigkeit).

Wenn aber selbst eine lebenslange Beitragszahlung aus Vollzeitbeschäftigung nicht mehr ausreicht, zuverlässig eine Rentenleistung oberhalb eines Fürsorgeniveaus zu generieren, das auch ohne Beitragsleistung zusteht, verliert das Pflichtversicherungssystem seine gesellschaftliche Akzeptanz. Auf dieser Basis hat der Generationenvertrag keine Zukunft.

Wir wollen das System der gesetzlichen Alterssicherung deshalb so reformieren, dass die Ziele der Lebensstandardsicherung und der strukturellen Armutsfestigkeit wieder innerhalb des gesetzlichen Rentensystems erreicht werden können. Nur die Rückkehr zu einer lebensstandardsichernden Altersrente kann der jahrzehntelangen Arbeits- und Beitragsleistung der Versicherten gerecht werden und kann neues Vertrauen in den Generationenvertrag begründen.

 

III. Aktuelle Forderungen

Wir schlagen zur Umsetzung und Finanzierung einer lebensstandardsichernden Rente folgende Maßnahmen vor:

  1. Anhebung des Rentenniveaus und Streichung des Nachhaltigkeitsfaktors

Die Definition des Rentenniveaus muss dem Ziel entsprechen, nach 45 Beitragsjahren mit durchschnittlichem Verdienst einen lebensstandardsichernden Rentenanspruch zu erwerben. Dieser entsprach nach altem Recht einem Nettorentenniveaus von etwa 70 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens aller Versicherten. Nachdem durch den unumkehrbaren Übergang auf die nachgelagerte Rentenbesteuerung der Rückgriff auf das Nettorentenniveau alter Prägung jedoch nicht mehr möglich ist, muss ein Rentenniveau definiert werden, das von der steuerlichen Seite abstrahiert. Geeignet wäre hierfür ein „Rentenniveau nach Sozialversicherungsbeiträgen“: dieses setzt die Nettostandardrente nach 45 Beitragsjahren ins Verhältnis zum durchschnittlichen Bruttoeinkommen nach Abzug sämtlicher Sozialbeiträge der Arbeitnehmer. Die Einkommenssteuer bleibt unberücksichtigt. Das „Rentenniveau nach Sozialversicherungsbeiträgen“ entsprach im Jahr 2000 etwa einem Wert von 56 Prozent (heute: 52,3 Prozent) und ist wieder auf diesen Wert anzuheben und konstant zu halten. Die künftige Rentenformel würde deutlich vereinfacht, denn es gehen nur mehr die Entwicklung der Bruttolöhne sowie die Veränderung der Sozialversicherungsbeiträge in die Berech-nung der Rentensteigerungen ein. Der „Nachhaltigkeitsfaktor“ ist aus der Rentenformel herauszunehmen. Der „Riester-Faktor“ darf nur in dem Maße in der Formel berücksichtigt werden, wie er der tatsächlichen Verbreitung und Durchdringung der Riesterprodukte entspricht. Nachdem eine lebensstandardsichernde Altersrente wieder im Rahmen des gesetzlichen Rentensystems anvisiert wird, kann sich die steuerliche Förderung von Riester-Produkten auf die bestehenden Verträge beschränken. Eine Förderung von Neuverträgen wird damit hinfällig. Als ersten Schritt zur Revitalisierung der gesetzlichen Rente schlagen wir vor, das gegenwärtige gesetzliche Rentenniveau zu stabilisieren. Eine Stabilisierung der Rente ist dringend geboten, denn die rote Linie ist durch die bisherigen Rentenkürzungen längst überschritten. Die durchschnittliche Rente beträgt bei Männern heute nur noch 865 Euro, bei Frauen ist sie noch deutlich niedriger. Die Erwerbsminderungsrente liegt mit 614 Euro im Schnitt unter Sozialhilfeniveau. Eine Senkung des Rentenniveaus von heute knapp 50 auf 43 Prozent ist nicht mehr länger verantwortbar.

  1. Bessere Bewertung von Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit

Die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosenhilfe bis 31.12.2004 sowie der Grundsicherung für Arbeitssuchende ab 01.01.2005 sollen künftig wieder als beitragsgeminderte Zeiten in der Rentenberechnung Berücksichtigung finden. Sie werden damit in der Rentenberechnung mit dem Wert berücksichtigt, der dem durchschnittlichen Wert der Beitragszeit des jeweiligen Versicherten entspricht. Damit spiegelt sich die jeweilige Lebensleistung der Versicherten angemessen in der Bewertung dieser Zeiten wieder. Um eine Schlechterstellung von Beziehern des regulären Arbeitslosengeldes I zu verhindert, soll maximal ein Wert von 0,5 Entgeltpunkten für jedes Bezugsjahr gewährt werden (entspricht einem halben Durchschnittsverdienst). Die jährliche Rentenanwartschaft erhöht sich damit von etwa 2,19 Euro (bis 2010 geltende Regelung) auf bis zu 13,60 Euro (halber Durchschnittsverdienst). Damit eine Subventionierung hoher Arbeitseinkommen unterbleibt, soll die Regelung nur für Versicherte greifen, die zum Zeitpunkt des Rentenbeginns nicht mehr als 35 Entgeltpunkte aufweisen.

  1. Reform der Renten wegen Erwerbsminderung vollenden

Mit der um zwei Jahre verlängerten Zurechnungszeit bis zum 62. Lebensjahr und der sog. „Günstigerprüfung“ für die letzten vier Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung hat die SPD bereits wichtige Verbesserungen beim Schutz vor Erwerbsminderung durchsetzen können. Diese Leistungsverbesserung war unabwendbar, weil die gesetzliche Rentenversicherung nicht nur das Altersrisiko absichern soll, sondern auch bei voller Erwerbsminderung eine Lohnersatzfunktion wahrzunehmen hat. Doch mit der Einführung von sog. „versicherungsmathematischen Abschlägen“ von bis zu 10,8 Prozent bei einem Bezug der Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 63. Lebensjahres wurde die Lohnersatzfunktion dieser Rente massiv beeinträchtigt. Trotz verlängerter Zurechnungszeit liegt der durchschnittliche Zahlbetrag einer vollen Erwerbsminde-rungsrente immer noch spürbar unter dem der Altersrenten. Die im Jahr 2000 eingeführten Abschläge bei einer eintretenden Erwerbsminderung sind systematisch jedoch nicht zu rechtfertigen, da die Erwerbsgeminderten über keine individuelle Wahlmöglichkeit hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Einschränkungen und der daran anknüpfenden Rente verfügen. Weil sich jedoch viele Erwerbsgeminderte eine Erwerbsminderungsrente auf dem heutigen Niveau buchstäblich nicht leisten können, wird oftmals – trotz eindeutiger Diagnosen – auf Kosten der eigenen Gesundheit weitergearbeitet. Um diese problematischen Entwicklungen einzudämmen, sind Renten wegen voller Erwerbsminderung künftig in jedem Falle wieder ohne Abschläge zu gewähren (entspricht zur Finanzierung einem zusätzlichen Beitragsvolumen von ca. 0,4 Prozentpunkten im Jahr 2030 nach internen Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung Bund).

  1. Gleitende Übergänge in die Rente statt Rente mit 70

Kaum dass die abschlagsfreie Altersrente nach 45 Beitragsjahren von der SPD durchgesetzt wurde, eröffnen Unionspolitiker nun die Debatte über die Rente mit 70. Die Diskussion wird dabei mit Argumenten geführt, die auf den ersten Blick neu und eingängig erscheinen: es müssten endlich Anreize gesetzt werden, damit Arbeitnehmer freiwillig über die reguläre Altersgrenze hinaus arbeiteten.

Doch den finanziellen Anreiz, mit dem späteren Renteneintritt höhere Rentenanwartschaften zu erwerben, gibt es schon seit vielen Jahrzehnten. Der Zuschlag pro Jahr eines späteren Rentenbeginns (6 Prozent Rentensteigerung) ist sogar deutlich höher als der Abschlag bei vorgezogenem Rentenbeginn (3,6 Prozent pro Jahr eines früheren Rentenbezugs). Die Arbeitnehmer können nach den Maßgaben des Gesetzgebers immer schon selbst entscheiden, wie lange sie über das reguläre Renteneintrittsalter hinaus arbeiten wollen. Und er honoriert den späteren Renteneintritt aus freien Stücken mit einem Zuschlag. Die gesetzliche Rentenaltersgrenze stand einer freiwilligen Weiterarbeit noch nie entgegen. Dass nur wenige Arbeitnehmer von der Regelung Gebrauch gemacht haben, lag weniger am Gesetzgeber, sondern eher an der Wirtschaft, in der es kaum altersgerechte Arbeitsplätze in ausreichender Zahl gegeben hat und immer noch nicht gibt. Der Rentenzuschlag von 6 Prozent pro Jahr des späteren Renteneintritts wird zudem mit dem Verzicht auf die bereits zustehenden Altersbezüge teuer erkauft. Erst nach fast 17 Jahren wäre der Verlust der entgangenen Rente durch die erhöhte Rente wieder hereingeholt. Durch den späteren Rentenbeginn ergibt sich zudem ein lebenslanger steuerlicher Nachteil, weil sich der Besteuerungsanteil nach dem Jahr des erstmaligen Rentenbeginns richtet. Je später die Rente beginnt, desto höher die Besteuerung der Rente. Jedes Konzept über eine Rentenflexibilisierung muss darauf Antworten finden, damit sich die Flexibilisierung nicht zum Bumerang für die älteren Arbeitnehmer entwickelt. Eine Flexibilisierung des Rentenzugangsalters muss deshalb einer anderen Logik folgen:

  1. Die Festlegung einer gesetzlichen Regelaltersgrenze bleibt als Anker von zentraler Bedeutung. Denn die gesetzliche Altersgrenze bestimmt, ab welchem Zeitpunkt die Abschläge oder eben Zuschläge berechnet werden. Je höher das reguläre gesetzliche Rentenalter, desto schwieriger wird es, überhaupt Zuschläge erarbeiten zu können.
  2. Angesichts des sich verschiebenden Altersaufbaus der bundesdeutschen Bevölkerung sowie verlängerter Rentenlaufzeiten ist es grundsätzlich richtig, die Weichen so zu stellen, dass den Menschen eine längere Erwerbsphase ermöglicht wird. Weitreichende Veränderungen der Lebensarbeitszeit können jedoch nicht vorgenommen werden, ohne die Wirkungen auf Gesundheit und Arbeitsfähigkeit sowie auf die realen Beschäftigungschancen der Menschen im Alter zu berücksichtigen. Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Renteneintritt nach dem 65. Lebensjahr sozial verantwortbar ist, sind nicht die zweifelsohne ansteigenden Beschäftigungsquoten der über 55jährigen Arbeitnehmer, sondern allein die realen Arbeitsmarkt- und Einstellungschancen im Alter zwischen 65 und 67. Denn wer mit 65 keine Arbeit mehr findet, muss zusätzliche empfindliche Kürzungen seiner Rentenansprüche in Kauf nehmen. Für dieses Alterssegment gibt es aber immer noch viel zu wenig sozialversicherte Arbeitsplätze. Und nur sozialversicherte Arbeitsplätze dürfen in die Bewertung einbezogen werden: denn mit ungeschützten Arbeitsverhältnissen können keine oder nur sehr geringe Rentenanwartschaften erworben werden. Damit ist klar: für eine Mehrheit der über 65-jäh-rigen entpuppen sich die regierungsamtlich unterstellten Beschäftigungschancen bislang als bloßes Trugbild. Die Behauptungen der Bundesregierung gehen an der Realität des Arbeitsmarktes vorbei. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund eines permanent steigenden Leistungs- und Arbeitsdrucks in den Unternehmen.

Wir setzen auf flexible Übergänge vom Arbeitsleben in den Ruhestand, auf erweiterte Möglichkeiten des Bezuges von Teilrenten ab dem 60. Lebensjahr mit attraktiven Hinzuverdienstmöglichkeiten sowie auf durchgreifende Konzepte zur Humanisierung der Arbeitswelt, die es älteren Menschen erlaubt, freiwillig länger im Betrieb zu verbleiben und die letztlich eine höhere Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer ermöglicht. Denn viele Studien belegen: Alter bedeutet nicht weniger Leistungsfähigkeit im Beruf. Vielmehr verschieben sich lediglich die Parameter, mit denen Leistungsfähigkeit gemessen werden kann. So nimmt die körperliche Belastbarkeit mit zunehmendem Alter ab. Dafür steigen aber etwa Erfahrungswissen, Qualitätsbewusstsein oder die Fähigkeit, komplexe Aufgaben zu lösen. Ältere Arbeitnehmer sind damit ein wichtiger Garant für unseren wirtschaftlichen Erfolg. Es gibt keinen Anlass, für Beschäftigte, die über das Rentenzugangsalter hinaus beschäftigt sind, besondere Befristungs- oder Kündigungsschutzregeln bzw. Beitragsfreiheit des Arbeitgebers einzuführen

  1. Die Finanzierung ist machbar

In einer alternden Gesellschaft lassen sich die relativ steigenden Kosten der Alterssicherung grundsätzlich nicht wegreformieren – unabhängig vom gewählten Finanzierungssystem. Politisch entschieden werden kann nur, wie die Traglast zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen verteilt sein wird. Wenn der Staat die gesetzliche Rente einfach kürzt, gefährdet er die Akzeptanz der gesetzlichen Alterssicherung und verlagert die Traglast einseitig auf die versicherungspflichtigen Arbeitnehmer mit Verdiensten unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze. Denn diese müssen entweder mehr privat vorsorgen oder die Leistungskürzungen hinnehmen. Wegen der steigenden Produktivität wird ihre künftige Kaufkraft zwar dennoch ansteigen, ihre relative Position wird sich hingegen verschlechtern. Weil viele Millionen von Arbeitnehmern finanziell nicht in der Lage sein werden, mehrere Jahrzehnte lang eine zusätzliche Privatvorsorge durchzustehen, wird der erarbeitete Lebensstandard im Alter nicht mehr gesichert werden können. Altersarmut wird sich sukzessive ausbreiten, sofern das Versicherungsleben überdurchschnittlich von Phasen der Krankheit und Arbeitslosigkeit oder von Niedriglohntätigkeiten charakterisiert war. Mit der Revitalisierung einer lebensstandardsichernden gesetzlichen Altersrente wollen wir diese Entwicklungen abwenden. Doch die Rückkehr zur Lebensstandardsicherung ist nicht zum Nulltarif zu haben. Doch auch der Paradigmenwechsel zur Teilprivatisierung im Rahmen der Riesterrente bedeutete eine spürbare Mehrbelastung für die Arbeitnehmerhaushalte. Denn vier Prozent des Bruttoeinkommens müssen alleine vom Arbeitnehmer aufgebracht werden, um die Kürzung der gesetzlichen Rente wenigstens zum Teil zu kompensieren (eine 4-prozentige Kapitalverzinsung bis 2030 einmal unhinterfragt unterstellt). Für eine volle Kompensation der Niveauabsenkung wäre der Einsatz von ca. 6 Prozent des Bruttoeinkommens bis zum Jahr 2030 erforderlich. Durch die Teilprivatisierung kann somit keinesfalls eine Senkung des finanziellen Gesamtaufwandes für eine lebensstandardsichernde Altersvorsorge erreicht werden.

Wenn nun aber die Lebensstandardsicherung wieder im Rahmen des gesetzlichen Rentensystems organisiert wird, muss der erforderliche Finanzbedarf grundsätzlich mit Beitragsmitteln gedeckt werden. Die Rückkehr zum rentenpolitischen Ziel der Lebensstandardsicherung mit Abschaffung des Nachhaltigkeitsfaktors samt der vorgeschlagenen Maßnahmen zur Bekämpfung von Altersarmut und zum abschlagsfreien Rentenbezug mit 65 würde bis zum Jahr 2030 zu einem Anstieg des Rentenbeitrages auf etwa 27 Prozent führen. Nachdem infolge der Alterung auch die Beitragssätze zur gesetzlichen Pflege- und Krankenversicherung tendenziell ansteigen werden, stellt sich die Frage, ob sich Finanzierungsalternativen zur bloßen Anhebung der Beitragssätze anbieten.

Ein Auslaufen der staatlichen Riesterförderung wird auf mittlere Sicht Steuermittel einsparen. Wir setzen uns dafür ein, dass bei Vertrauensschutz für bestehende Ver-träge ab einem frühestmöglichen Zeitpunkt keine neuen Riesterrenten mehr gefördert werden und die freiwerdenden Mittel der GRV zugeführt werden. Auch die Mehrkosten für die öffentlichen Hände, die durch Renditegarantien für die Lebensversicherungen und andere Privatanleger bei der angedachten Privatfinanzierung öffentlicher Investitionen entstehen, erhöhen die staatlichen Handlungsspielräume. Die aktuelle Niedrigzinsphase ist stattdessen kostensparend für die direkte Finanzierung der notwendigen Investitionen zu nutzen. Wir lehnen jeden Ansatz ab, der die notwendigen Reformen und Leistungsverbesserungen in der Altersvorsorge gegen öffentliche Investitionen ausspielen will. Soziale Sicherheit ist eine Zukunftsinvestition höchsten Ranges. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Kürzungen im Sozialbereich keineswegs mit einer Erhöhung privater, unternehmerischer und öffentlicher Investitionen einhergehen. Viel mehr besteht ein positiver Zusammenhang zwischen der Binnennachfrage, die auch und gerade durch soziale Leistungen gestützt wird, und der Höhe der Investitionen.

Statt Beitragssatzsenkungen: Aufbau einer Demographiereserve

Berechnungen zeigen, dass die Sicherung der Renten durch den Aufbau einer Demografie-Reserve auch weiterhin möglich ist, selbst wenn der Beitragssatz auf 22 Prozent bis zum Jahr 2030 begrenzt wird. Entscheidend ist, dass unverzüglich mit der Bildung der Reserve begonnen wird. Dabei sind lediglich moderate Anhebungen des Beitragssatzes erforderlich, um die Belastungen in kleinen Schritten über die Jahre zu verteilen, Planungssicherheit zu schaffen und Finanzierungslücken auf diese Weise zu schließen. Erforderlich ist eine jährliche Anhebung des Rentenbeitrags von 0,3 Prozentpunkten bis zum Jahr 2019. Dies bedeutet für Durchschnittsverdiener und Arbeitgeber eine jährliche Belastung von vier Euro pro Monat. Ab 2020 kann die jährliche Demografie-Anpassung auf 0,2 Prozentpunkte abgeschmolzen werden. Die aktuellen Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung Bund zeigen, dass das Rentenniveau dadurch auf lange Sicht weitgehend stabilisiert werden kann. Dennoch bleiben im Jahr 2030 noch hohe Rücklagen.

Ausweitung der Steuerfinanzierung im Rahmen des paritätischen Modells

Um eine gerechtere Verteilung der Traglasten des demographischen Wandels zu erreichen, muss die Finanzierung der sozialen Sicherung auf eine erheblich breitere Basis als bisher gestellt werden. Ergänzend zum Aufbau einer Demographiereserve kann der demographiebedingte Kostenanstieg vorübergehend auch über eine Erhöhung der direkten Steuern finanziert werden. Es würden damit alle Steuerzahler als breitestmögliche Basis überhaupt in die Finanzierungsverantwortung einbezogen. Eine Ausweitung der Steuerfinanzierung kann technisch recht einfach durch eine Anhebung des Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung erfolgen. Eine Steuerfinanzierung stößt vor allem nicht an die Versicherungspflicht- und Beitragsbemessungsgrenzen, die zu einer tendenziellen Entlastung von hohen und sehr hohen Einkommen führen. Auch folgen die Steuern einem progressiven Tarifverlauf, der höhere Einkommen nicht nur proportional, sondern auch prozentual einer höheren Belastung unterwirft. Die Sozialbeiträge folgen dagegen ab einem Einkommen von 850 Euro monatlich (Ende der sog. Gleitzone) einem proportionalen Tarifverlauf. Gemessen an der bestehenden Steuerlastverteilung würde eine direkte Steuerfinanzierung daher – und wegen des begrenzten Versicherungskreises – dazu führen, dass die Lasten gerechter verteilt würden. Langfristig ist eine breite Finanzierungsbasis jedoch durch den sukzessiven Übergang in eine Erwerbstätigenversicherung sicherzustellen.

Mütterrente solidarisch und gerecht über Steuermittel finanzieren

Die sog. „Mütterrente“ stellt den mit Abstand kostenträchtigsten Teil des aktuellen Rentenpakets der Bundesregierung dar (ca. 6,5 Mrd. Euro jährlich). Die Anrechnung eines weiteren Entgeltpunktes in der Rente für Kindsgeburten vor 1992 ist grundsätzlich völlig berechtigt. Denn die Erziehungsleistungen älterer Mütter und Väter sind rentenrechtlich genauso zu honorieren wie die Erziehungsleistungen jüngerer Eltern, zumal letztere schon auf eine halbwegs entwickelte Infrastruktur an Kinderbetreuungseinrichtungen zurückgreifen können. Doch für die Geburten vor 1992 sind keine Beiträge an die Rentenversicherung geflossen. Sie sind damit eine klassische „versicherungsfremde“ Leistung. Deshalb dürfen die Kosten nicht einfach der Versichertengemeinschaft und den Rentnern aufgebürdet werden. Bei verfehlter Finanzierung dieser Leistungen über die Rentenkassen werden diese letztlich allein durch die Beitragszahler und die Rentner selbst finanziert. Denn jede Erhöhung des Beitragssatzes hat eine dämpfende Wirkung auf die künftigen jährlichen Rentensteigerungen. Bei einer Finanzierung über die Steuereinnahmen unterbliebe der dämpfende Effekt. Es kann mithin nur einen seriösen Finanzierungsweg geben: aus dem allgemeinen Steueraufkommen durch einen entsprechend höheren Bundeszuschuss an die Rentenversicherung. Die Finanzierung stünde dann auf einer weitaus stabileren Basis. Und sie wäre obendrein gerechter: weil Spitzeneinkommen wegen der Steuerprogression einen größeren Anteil zur Finanzierung der Mütterrenten beitragen würden als mittlere Einkommen. Niedrige Einkommen blieben wegen des Grundfreibetrages ohnehin weitgehend verschont.

Wir treten deshalb für eine systemgerechte Finanzierung der Mütterrente durch eine entsprechende Aufstockung des steuerfinanzierten Bundeszuschusses ein. Es entspricht der rentenpolitischen Beschlusslage der SPD und auch ihrer Regierungspraxis, alle versicherungsfremden Leistungen über das allgemeine Steueraufkommen zu finanzieren. Es darf keine dauerhafte Finanzierung dieser Leistung über die Rentenbeiträge geben.

Perspektiven der Alterssicherung: Eine Versicherung für alle Erwerbstätigen

Die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland ist seit Ende des 19. Jahrhunderts als Pflichtversicherung der Arbeiter bzw. der Angestellten organisiert, die lediglich mit ihren Entgelten bis zur Beitragsbemessungsgrenze der Versicherungspflicht unterliegen. Daneben existieren verschiedene Sonderversorgungssysteme der Alterssicherung, wie die Alterssicherung der Landwirte, die Beamtenpensionen oder die zahlreichen berufsständischen Versorgungseinrichtungen (obligatorische Alterssicherungssysteme). Auch diese sind über Generationen historisch gewachsen. Finanzierungsmodalitäten und vor allem die jeweiligen Leistungsniveaus der verschiedenen Sicherungssysteme unterscheiden sich dabei in signifikanter Weise. Im Rahmen dieser Zersplitterung der Altersversorgung werden gleiche soziale Tatbestände ungleich behandelt und auf unterschiedlichen Niveaus abgesichert. Auf der anderen Seite wird der soziale Sicherungsbedarf bestimmter Personengruppen nicht oder nur sehr unzureichend abgedeckt (u.a. Niedriglöhner, kleine Selbständige). Vor allem aber die rasanten Veränderungen in der Arbeitswelt und die Erosion der klassischen jahrzehntelangen Erwerbsbiographie ohne Wechsel und Brüche bzw. die mitunter fließenden Grenzen zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit stellen die Altersversor-gung vor neue Herausforderungen. Um die Traglast der relativen Belastungen des demographischen Wandels möglichst gerecht zu verteilen und eine lebensstandardsichernde Altersversorgung unabhängig von der gewählten Form der Erwerbstätigkeit zu gewährleisten, ist die Rentenversicherung in der langfristigen Perspektive zu einer Erwerbstätigenversicherung weiterzuentwickeln. In der Erwerbstätigenversicherung werden alle obligatorischen Alterssicherungssysteme zusammengeführt und alle Erwerbstätigen (Arbeitnehmer wie Selbständige) in einer gemeinsamen Versicherung zu gleichen Konditionen abgesichert.

Auf die historisch gewachsenen Ansprüche in den Sonderversorgungssystemen be-steht freilich ein eigentumsähnlicher Bestandsschutz. Die Alterssicherung von Millionen von Erwerbstätigen basiert auf dem Vertrauen in die Fortexistenz des jeweiligen Versorgungssystems, dem sie angehören. Deshalb kann die Weiterentwicklung zu einer Erwerbstätigenversicherung nur schrittweise im Rahmen einer Stichtagsregelung vollzogen werden. Dabei werden jene Selbständige, Beamte, Abgeordnete oder freiberuflich Tätigen in die Versicherungspflicht einbezogen, die zum Stichtag noch nicht in einem obligatorischen Alterssicherungssystem versichert sind. Im Rahmen der Übergänge der Sonderversorgungssysteme in die Erwerbstätigenversicherung sind die jeweils nach altem Recht noch erworbenen Anwartschaften zu gewährleisten. Der Übergang wird daher ein bis zwei Generationen in Anspruch nehmen. Doch perspektivisch wird damit die Alterssicherung unabhängig von der gewählten Erwerbsform und dem bezogenen Einkommen auf eine möglichst breite Beitragszahlerbasis gestellt.

Eine langfristige Senkung des Beitragssatzes wird in einer Erwerbstätigenversicherung allerdings nur in sehr begrenztem Umfang möglich sein. Denn die Erwerbstätigenversicherung bleibt eine Versicherung mit grundsätzlicher Äquivalenz zwischen eingezahltem Beitrag und späterer Rente. Aus den zusätzlichen Beitragseinnahmen ergeben sich künftig also zusätzliche Rentenansprüche, die abgedeckt werden müssen. Dies gilt ebenso bei einer Anhebung oder Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze. Selbst wenn es verfassungsrechtlich möglich wäre, künftige Rentenanwartschaften aber einer gewissen Grenze zu deckeln, ergäben sich kaum Spielräume für eine Beitragssatzsenkung. Denn die im Rahmen einer Versicherung erworbenen Anwartschaften könnten in keinem Falle stärker gedeckelt werden, als es bei einer entsprechenden Versteuerung der Fall wäre. Doch eine Deckelung von erworbenen Versicherungsanwartschaften wird ohnehin an verfassungsrechtliche Grenzen stoßen, gerade weil die im Rahmen einer Versicherung erworbenen Anwartschaften nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eigentumsähnlichen Charakter aufweisen. Kurz- bis mittelfristig können jedoch infolge der erweiterten Versicherungspflicht Mehreinnahmen erzielt werden. Diese Mehreinnahmen können dazu genutzt werden, die finanziellen Belastungen in der Folge des Übergangs der Sonderversorgungssysteme zu schultern (Gewährungsleistungspflicht des Bundes für die auslaufenden Sonderversorgungssysteme, deren Beitragszahlerbasis sukzessive schrumpft).

Die Erweiterung der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigen-versicherung soll nicht primär einer Beitragssatzsenkung dienen, sondern sie ist die perspektivische Antwort auf eine veränderte Arbeitswelt und sorgt zudem für ein hohes Maß an sozialer Gerechtigkeit, weil die unterschiedlichen Konditionen und Versorgungsniveaus der einzelnen Alterssicherungssysteme auf Basis einer lebensstandardsichernden Versorgung angeglichen werden können.

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