B2 02 Lehrerbildung

  1. Um Lehrer:in zu werden werden besondere Fähigkeiten gebraucht, die nicht durch Noten auszudrücken sind. Ein Auswahlverfahren wird angestrebt.
  2. Um das längere gemeinsame Lernen engagiert zu unterstützen ist eine Lehrerbildung erforderlich, die die Potentialentfaltung bei Lernenden lehrt und trainiert.
  3. Studierende müssen integriert sowohl durch theoriegeleitete Ausbildung durch Spezialisten an Universitäten als auch durch praxisgeleitete Ausbildung durch aktive Lehrende auf ihren Beruf vorbereitet werden.

 

Einführung. International kristallisiert sich heraus, dass die Orientierung von Unterricht an Phänomenen und individuellen Lernvoraussetzungen erfolgreicher ist als das gefächerte Belehren in festen Jahrgangsstufen. Will man das Schulsystem in diesem Sinn zu Gemeinschaftsschulen mit entsprechender Pädagogik transformieren, wie es in mehreren europäischen Ländern in den 1970er und 1980er Jahren erfolgt ist, ist die Lehrerbildung eine Schlüsselstelle.

Auch hat sich in anderen Bereichen der universitären Bildung die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine gute Abiturnoten allein (NC!) nicht automatisch z.B. zu guten Ärzt:innen führt. Auch die gänzlich freie Wahl (wie beim Lehramt) führt nicht automatisch zu guten Qualifikanten, aber bei vielen Studiengängen zu hohen Abbrecher:innen- und Wechsler:innen-Quoten.

Man braucht heute kein reines Sammeln von Wissen, sondern kreative Köpfe. Unsere Aufgabe darf nicht mehr lauten: Wie bereiten wir ein Kind auf die Schulform vor? Sie muss lauten: Wie muss Schule funktionieren, damit sie die Kreativität ihrer Lernenden erhält und fördert? Wie muss eine Lehrer:innenbildung aussehen, die Lehrende hervorbringt, die das leisten können?

 

02.01 Auswahlverfahren.

Wir werden in eine multilaterale Diskussion eintreten, wie ein Auswahlverfahren für das Lehramtsstudium aussehen kann. An ausländischen (z.B. finnischen), vielen deutschen und manchen bayerischen Universitäten (z.B. Passau, Bamberg) gibt es umfangreiche und jahrzehntelange Erfahrungen. Was für Sport und Englisch jetzt schon gilt kann für das Lehramt nicht verkehrt sein, da für den Beruf ganz besondere Fähigkeiten benötigt werden, die weder durch Schulfächer noch durch Ziffernnoten des Abiturs ausdrückbar sind.

Begründung: Ein Auswahlverfahren beruht nicht auf Ziffernnoten, die durch Anhäufung von Fachwissen erworben wurden, sondern bringt auch Qualifikationen wie Teamfähigkeit, emotionale Intelligenz, soziale sowie kommunikative Kompetenz in die Bewertung eines Bewerbers ein. So wie ein Einser-Schüler nicht automatisch ein guter Arzt wird ist auch nicht davon auszugehen, dass jeder, der das Abitur hat, das Zeug zur Lehrer:in hat.

 

02.02 Maßnahmen gegen Lehrer:innenmangel.

Durch ein geeignetes Auswahlverfahren und eine geschickte Studienplatzsteuerung (z.B. demographischer Bedarf + 10%) kann Lehrer:innenmangel, wie er zurzeit überall herrscht, sicherer vermieden werden. Dies fordern z.B. GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft), BLLV (Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband) und LEV (Landeselternvereinigung) schon seit vielen Jahren. Zudem könnte man den Effekt nutzen, dass dadurch schon mittelfristig das Ansehen des Lehrberufes so gesteigert wird, dass es einerseits den Leistungen und der Bedeutung für die Gesellschaft entspricht und andererseits die Attraktivität für leistungsfähige Bewerber:innen steigert.

Begründung: In Ländern, in denen es ein Auswahlverfahren gibt, bewerben sich nur die Besten für eine Studienplatz. Schon die Existenz eines Auswahlverfahrens ist geeignet, die Qualität der Bewerber:innen positiv zu beeinflussen. Hilfreich ist allerdings auch ein höheres Ansehen des Lehrer:innenberufs in der Öffentlichkeit.

 

02.03 Gliederung.

Für ein sozial- und menschengerechtes Schulsystem auf Basis der Gemeinschaftsschule werden Lehrende mit breiteren Kompetenzen benötigt. Für einen frühen Primarbereich (z.B. die Jahrgangsstufen 1-3) sind besondere Kompetenzen z.B. in Erstlesen, Schrifterwerb und Umgang mit Zahlen erforderlich. Für einen Sekundarbereich (z.B. die Jahrgangsstufen 4-13) sind zwei Schwerpunktfächer sinnvoll, wobei eines durch sonderpädagogische Kompetenzen ersetzt werden kann. Im Sekundarbereich sind multiprofessionelle Teams selbstverständlich. Weitere Spezialisierungen ergeben sich mit dem Ziel einer beruflichen oder einer sonderpädagogischen Fachrichtung.

Begründung: Die weitere Untergliederung in Sekundarstufe I und II hat gravierende Nachteile. Einerseits ist es das Besoldungssystem, das zu sozialer und ökonomischer Privilegierung von Sek-II-Lehrkräften führt, andererseits das Gymnasium, das durch seinen Selektionsanspruch die Unterprivilegiertheit der anderen Schulformen erzeugt. Gleichzeitig wird es beanspruchen, nur Sekundarstufe-II-Lehrkräfte für sich haben zu wollen. In der Folge wird auch das Ansehen des Lehrberufes an den anderen Schularten gemindert.

 

02.04 Spezielle Studiengänge.

Lehrer:innenbildung findet an Universitäten in speziellen Studiengängen statt. Durch die Einführung von Eignungstests ist die Polyvalenz überflüssig. So kann eine klare Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Lernenden in der angestrebten Stufe stattfinden. Das Lehrer:innenbildungszentrum koordiniert alle Aktivitäten.

Begründung: Polyvalente Studiengänge haben sich nicht bewährt. Zwar gibt es immer wieder Studierende, die aus Lehramtsstudiengängen heraus in reine Fachstudiengänge wechseln; dieser Ausweg wird aber mit einer unspezifischen Lehrerbildung bezahlt, die im Selbstverständnis „Chemiker:innen“, „Biolog:innen“, „Germanist:innen” hervorbringt und nicht Lehrkräfte.

 

02.05 Elemente moderner Pädagogik.

Lehrer:innenbildung orientiert sich an den Elementen einer modernen Pädagogik. Z.B:

  • Unterstützung von individuellen Lernvoraussetzungen und Selbstorganisation, erst für die höheren Stufen zunehmend auch an entsprechenden Fachdidaktiken.
  • Zunehmend geringerer Orientierung des Unterrichts an Fachstrukturen, hin zu einem Phänomen basierten, kompetenzorientierten

Begründung: Die Dominanz der Fächer hat nicht zur Zufriedenheit der folgenden Bildungsstätten mit dem fachlichen Fundament geführt. Sie hat dazu geführt, dass viele Lehrende andere als Fachkompetenzen wenig schätzen.

 

02.06 Tutoren und Mentoren.

Zu diesem Zweck wird an Universitäten ein System der Betreuung und Reflexion mit Tutor:innen (erfahrene Studierende) und Mentor:innen (Lehrende und Dozenten) etabliert.

Begründung: Aktuelle Dozierende nehmen sich neben der Forschung nicht die Zeit, Lern- und Entwicklungsfortschritte zu diagnostizieren und zu begleiten. Aufgrund ihrer Biografie fehlt auch vielen die Fähigkeit dazu.

02.07 Lehrer:innenbildung vergleichbar mit dem Dualen Studium.

Lehrer:innenbildung muss harmonisch in die gemeinsame Hand von theoriegeleiteter universitärer sowie praxisgeleiteter schulischer Ausbildung unter ständiger Kooperation der beiden Institutionen gelegt werden. Vorstellbar ist eine Verzahnung zu einer insgesamt 6-7-jährigen konsekutiven Bachelor-Master-Ausbildung mit integriertem schulpraktischen Anteil.

Begründung: Das heutige System aus getrennter Phase I (universitäre Lehrerbildung) und Phase II („Referendariat“ an der Schule) hat wegen mangelnder Kooperation in der Breite im Wesentlichen versagt. Das liegt zum großen Teil an der Zuständigkeit zweier verschiedener Ministerien: Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst für Universitäten sowie Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus für die Schulen. Zu einem anderen Teil liegt es an den sehr unterschiedlichen Laufbahnen der beteiligten Personen nach dem Studium, wobei gerade das universitäre Personal in der Regel seit dem eigenen schulischen Abschluss mit Schule nichts mehr zu tun hat.

 

02.08 Schulpraktika.

Im Verlauf der Lehrer:innenbildung sind während des Studiums mindestens vier Schulpraktika im Umfang von je sechs Leistungspunkten (eines jährlich) abzuleisten:

  • Ein Orientierungspraktikum vor dem Auswahlverfahren im Umfang von ca. vier Ziel ist es, außerhalb der eigenen Abiturschule mindestens zwei weitere Schulen unterschiedlicher Art und aus unterschiedlichen Orten in ihrer Verschiedenheit kennen zu lernen und den Blick erstmals aus der Lernenden- in die Lehrenden-Sicht zu lenken. Dabei muss eine Schule der angestrebten Schulart (Primarschule, Sekundarschule, Förderschule oder berufliche Schule) gewählt werden.
  • Ein Assistenz-Praktikum im 2. Studienjahr im Umfang von ca. vier Wochen oder studienbegleitend an einer selbst gewählten Schule; Ziel ist das überblickmäßige Kennenlernen des unterrichtlichen Alltags in mehreren Fächern, mit Vorbereitungs-, Korrektur-, Unterrichts- und Aufsichtsaufgaben.
  • Zwei Unterrichtspraktika in unterschiedlichen Fächern studienbegleitend über je ein Semester in den Studienjahren 4. und 5. Ziel ist das vertiefte Kennenlernen schulpraktischer fachspezifischer Aufgaben sowie das Abhalten von mindestens zwei abgestuften Unterrichtsversuchen. Gleichzeitig sollen sie für das Schulleben sensibilisieren und einen Eindruck von der Kollegien-Kultur

02.09 Schulpraxis.

Dem Master-Abschluss schließt sich eine 1-2jährige schulpraktische Tätigkeit an mindestens zwei verschiedenen Schulen an. Eines dieser Jahre kann auch in die Masterphase vorgezogen werden. Dabei werden die Studierenden von Seminarlehrer:innen und selbstgewählten universitären Mentor:innen (Fachdidaktiker:innen, allgemeine Didaktiker:innen, Pädagog:innen, Lernpsycholog:innen, Fachwissenschaftler:innen) betreut. Sie erteilen eigenverantwortlichen Unterricht und werden bei ihren schulpraktischen Studien durch aktive Lehrende, Seminarlehrer:innen und den universitären Mentor:innen unterstützt. Diese Phase schließt mit praktischen Prüfungen ab.

Begründung: Der aktuelle Orts- und Betreuer:innenwechsel zwischen Phase I und II führt auch zu einem massiven inhaltlichen Bruch bis zu Widersprüchen in der Ausbildung. Mit einer Reihe geeigneter Maßnahmen muss bedeutend mehr Kontinuität erreicht werden.

 

02.10 Keine Staatsexamina.

Das Auswahlverfahren und die Akkreditierung im Bachelor-Master-System machen die beiden Staatsexamina, wie es bereits in den meisten Bundesländern praktiziert wird, überflüssig. Studienbegleitende schulpraktische und fachliche Prüfungen (Qualitätssicherung) dokumentieren Fortschritte im Kompetenzerwerb. Für Nachsteuerungen eignet sich eher das Tutor:innen- und Mentor:innen-System sowie eine Reihe von übergeordneten, vernetzenden Fachveranstaltungen.

Begründung: Falls für die Beamtenlaufbahn (die für Lehrende nicht zwingend erforderlich ist) eine gewisse Kontrolle des Staates erforderlich ist, kann diese über das Auswahlverfahren ausgeübt werden. Ansonsten erfüllt das Staatsexamen keinen pädagogischen Zweck. Es ist weder sinnvoll noch erfolgreich, zu hoffen, dass sich Übersichtswissen und -fähigkeiten durch das Lernen auf das Abschlussexamen von allein einstellen. Die Funktion müssen Oberseminare am Ende des Studiums unter der persönlichen Leitung von Professor:innen erfüllen.

 

02.11 Interministerielle Arbeitsgruppe.

Damit sich die aktuellen Abstimmungsschwierigkeiten nicht wiederholen, ist eine interministerielle Arbeitsgruppe Lehrer:innenbildung aus Vertreter:innen der beiden beteiligten Ministerien einzurichten.

 

02.12 Unterrichtserfahrung als Voraussetzung für Didaktik-Professuren.

Die an der Universität verorteten Lehrpersonen, die in der Lehrer:innenbildung eingesetzt sind (z.B. Fachdidaktik, Schulpädagogik) müssen zwingend ein Lehramtsstudium absolviert und mindestens 3 Jahre Unterrichtserfahrung an einer Schulart besitzen. Diese kann auch nach der Berufung in Teilzeit nachgeholt werden. Auch für den fachwissenschaftlichen Bereich muss ein bestimmter Anteil Dozierender mit Lehramt-Historie (z.B. Lehramtsstudium mit anschließender Fach-Promotion) gewonnen werden.

Begründung: Die mangelnde Wertschätzung des Lehrberufs beginnt schon in der Ausbildung. Trotz erwiesenem Gegenteil schätzen viele Fachwissenschaftler:innen Lehramtsstudierende als weniger leistungsfähig ein als reine Fachstudierende. Wer nur die Fachkompetenz im eigenen Fach wertschätzt, unterschätzt die Leistung von Studierenden mit zwei Fächern und zusätzlichen Kompetenzen in den Erziehungswissenschaften und den Fachdidaktiken. Eine eigene Lehramtshistorie kann diesen Effekten entgegenwirken.

 

02.13 Demonstrationsunterricht durch Fachdidaktiker:innen.

Fachdidaktiker:innen führen ausgewählte Einheiten in der letzten Phase der Lehrer:innenbildung an den Praktikumsschulen zu Demonstrationszwecken unter Beteiligung von Studierenden vor.

Begründung: Lehrende jeglicher Art müssen nicht alles besser können als ihre Lernenden. Gemeinsam an der Optimierung von Unterricht arbeiten entspricht aber der modernen Auffassung von Bildungseinrichtungen als lernenden Institutionen. Auch wirkt das gute Beispiel und seine Kritik stark motivierend auf Lernende.

 

02.14 Seminarlehrer:innen.

Die an Seminarschulen verorteten und in der Lehrer:innenbildung eingesetzten Lehrpersonen („Seminarlehrer:in“) müssen zwingend mindestens fünf Jahre Berufserfahrung und drei Jahre eng mit der Universität z.B. im Rahmen von Abordnungen oder Lehraufträgen zusammengearbeitet oder eine einschlägige Promotion in Fachdidaktik oder Pädagogik absolviert haben. Diese Erfahrungen müssen vor der Bestellung vorliegen.

 

 

 

02.15 Dienstortwechsel.

Zum Zweck der Verbesserung der Kooperation Universität und Schule müssen gesetzliche Vorgaben den Wechsel zwischen den Dienstorten Universität und Schule vereinfachen.

Begründung: Zurzeit scheitern viele Kooperationen der Schule-Universität an der oben erwähnten Zuständigkeit zweier verschiedener Ministerien, wobei beide argumentieren, sie wollten nicht die Personalprobleme des anderen lösen. Wichtig ist aber die sachliche Kooperation im Dienst der Weiterbildung und der hochqualifizierten Zusammenarbeit in der Lehrerbildung.

 

02.16 Multiprofessionelle Teams.

Studierende arbeiten von Beginn an in multiprofessionellen Teams (z.B. 5-6 Studierende, eine Seminar-Lehrkraft, zeitweise begleitet von der Pädagogik, der Psychologie sowie Erzieher:innen, Sonderpädagog:innen und Sozialarbeiter:innen).

 

02.17 Studienbegleitender Wechsel von Theorie- und Praxisphasen.

Wir werden mit allen beteiligten Personengruppen (einschließlich Studierenden!) z.B. in Form eines Runden Tisches eine geschickte Kombination von Theorie- und Praxisphasen mit gemeinsamer Reflexion über den gesamten Studienverlauf ausarbeiten.

 

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